Start der Lese-Reihe »Literatur sucht WG«

Das Foto zeigt Dirk Kurbjuweit. Foto: © Claudia Schmid, Kriminetz

In Heidelberg startete am 25. Februar die neue Lese-Reihe »Literatur sucht WG«. Dabei kommen Autoren nach Hause in die Wohnung. Der Reigen begann mit dem Journalisten und Autor Dirk Kurbjuweit mit einer Lesung aus seinem im Rowohlt-Verlag erschienenen Thriller »Angst« in einer Studierenden-Wohngemeinschaft. Veranstalter des für Heidelberg völlig neuen Formates ist der Karlstorbahnhof Heidelberg gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung.

Zimmer für Autor gesucht

Auf dem Portal »WG-gesucht« war eine Anzeige zu finden, über die sich interessierte WGs als Gastgeber für die Lesung bewerben konnten. Den Zuschlag erhielt Oliver Richter, der gemeinsam mit sieben MitbewohnerInnen in einer bunt gemixten WG in der Heidelberger Altstadt direkt am Neckar wohnt. Ein Freund hatte ihm den Tipp gegeben, er bewarb sich am letzten Tag der Frist und erhielt prompt den Zuschlag. Die WG residiert auf 200 Quadratmetern im oberen Geschoss eines prächtigen Gründerzeithauses. Die WG existiert, mit wechselnden Bewohnern, schon seit Jahrzehnten.

Zum Autor

Dirk Kurbjuweit, geboren 1962 in Wiesbaden, war von 1990 bis 1999 Redakteur bei der Zeit. Seit 1999 ist er für den Spiegel tätig. Er hat bislang sechs Romane veröffentlicht, drei davon wurden fürs Kino verfilmt, darunter »Schussangst« und »Zweier ohne«; zuletzt erschien »Kriegsbraut« (2011). Dirk Kurbjuweit erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1998 und 2002 den Egon-Erwin-Kisch-Preis.

Eindrücke von der Lesung

Schon beim Betreten des Treppenhauses fühlt sich der Gast vom architektonischen Charme der Gründerzeit umgeben, einige Schmuckelemente erinnern an Jugendstil. Auf den Absätzen zwischen den Treppen ist steinernes Mosaik ausgelegt. In der Wohnung, zu der man einige Etagen hochsteigen muss und die durch ein wunderschönes Holzportal betreten wird, sind bereits erste Gäste angekommen. Um die vierzig werden es bis zu Beginn der Lesung sein. In der Küche stehen Getränke bereit, auch der Autor sucht bei seinem pünktlichen Eintreffen als erstes die Küche auf, wo er sofort in Beschlag genommen wird.

Dann nimmt Dirk Kurbjuweit in einem der WG-Zimmer auf einem alten Sessel Platz. Vor ihm steht ein Tisch, der auch noch aus den Zeiten der Gründung der WG stammen könnte. Es ist die dritte Lesung an diesem Tag für Dirk Kurbjuweit. Der Autor ist leicht erkältet, doch trotz seiner zu Beginn geäußerten Bedenken begleitet ihn seine Stimme treu durch den Abend.

»Angst« ist autobiographisch geprägt, denn der Autor hat eigenes Erleben in den Roman einfließen lassen. Der Stalker im Roman, Herr Tiberius, sieht ungewohnt aus und lebt hinter zugezogenen Gardinen. Er sieht mit Vorliebe Filme mit Dustin Hoffmann und läuft mit Einkaufstüten von Penny herum. Zur Begrüßung legt Herr Tiberius beim Einzug von Familie Tiefenthaler Kekse auf die Fußmatte der neuen Nachbarn. »Auf gute Nachbarschaft« steht auf dem beigefügten Zettel. Doch dieser Wunsch wird bald zum Hohn, denn Herr Tiberius entpuppt sich als Stalker. Was mit zunächst harmlos wirkenden Kuchen- und Keksbacken beginnt, steigert sich bald zum Terror für die Familie und wird zu Hölle. Das Slip-Aufhängen der Ehefrau in der Waschküche kommentiert Herr Tiberius mit »Der sieht bestimmt gut aus an Ihnen.« Es folgt ein Liebesbrief an die Ehefrau des Ich-Erzählers. Den verliebten Briefen folgen verleumderische nach.

Das Ehepaar benimmt sich nach den Regeln der Zivilisation freundlich und bewahrt die Höflichkeit. Doch dann geht es richtig los: Herr Tiberius unterstellt den beiden sexuellen Missbrauch ihrer Kinder: Diese Keule, die klebrig durch die Luft geschleudert wird und die immer an irgendjemand haften bleibt, egal ob unschuldig oder nicht. Im Roman wird – entgegen zur Realität des Autors – gezeigt, wie eine Familie in die Selbstjustiz getrieben wird.

Viele Fragen und eine bleibt offen

Dirk Kurbjuweit räumt breiten Raum ein für Fragen. Wovon das WG-Publikum regen Gebrauch macht. Der Autor bezeichnet seinen Roman auf Nachfragen als Ehe- und Familienroman und erzählt von der Transformation des Stoffes. Der Roman sei nicht sein Leben, denn im Roman erfolge eine Veränderung und Verdichtung und es gelte: Erzählen gehe vor Erinnern. Man brauche beim Schreiben ein »kaltes Herz«, um zu kürzen.

Fragen zu Umbruch und Veränderungen im Journalismus folgen. Auch hier nimmt sich Dirk Kurbjuweit, der selbst an Journalismus-Schulen unterrichtet, viel Zeit für sein Publikum. Das Geschäftsmodell Print stirbt für Journalismus aus, das Geschäftsmodell für Online ist noch nicht da, das fehlt bislang für die Zukunft.

Die nächste WG für eine Lesung wird im April gesucht. Informationen dazu demnächst hier