Eine Couch-Szene, die immer und immer wieder gezeigt wird. Die sebstbewusste, toughe Kim Tramell (gespielt von Ursula Landi) und ihr Chef, ein sympathischer und charmanter Familienvater. Davor fand die Weihnachtsfeier der Versicherungsgesellschaft statt. Bei der sang die Frau lasziv ein Lied. Ihr Vorgesetzter, von dem eine Beförderung abhängt, begleitet sie im Aufzug nach oben, wo sie ihren Mantel holen will. Oliver Jansen, ihr Chef, wird gespielt von Oliver K. Wnuk, der vielen Fernsehzuschauenden als sympathischer Kriminaloberkommissar Hinnerk Feldmann in der ZDF-Reihe Nord Nord Mord bekannt sein dürfte.
Kim konkurriert mit einem Kollegen, mit dem sie liiert war. Ebenso war sie mit einer Angestellten der Kantine liiert, »für ein bisschen Spaß«. Der konkurrierende Kollege fertigt mit seinem Smartphone die Filmsequenz an, die im TATORT »Videobeweis« gefühlt in Dauerschleife läuft. Der Kollege ist am Morgen danach tot. Sein Smartphone ist zwar verschwunden, aber die Inhalte sind in einer Cloud gespeichert. So gelangt das Ermittlerduo Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) an das Filmchen, das nun gefühlt in Endlosschleife gezeigt wird. Sieht man nicht immer das, was man sehen will? Kommt es beim Sehen nicht auch immer auf die eigene Perspektive an? Die Auszubildende des Kommissariats steuert schließlich den weiblichen Blick auf die Sequenz bei. Ist das, was man da sieht, einvernehmlich? Oder fand es doch, wie Kim behauptet, unter Androhung von Gewalt statt?
Familienvater Jansen, der Hauptdarsteller des kleinen Videos, bekommt Probleme. Seine Frau, die zuhause das Heimchen gibt, präsentiert sich den Ermittlern als analytisch denkende Rechtsanwältin, bis auch sie nicht mehr an die Unschuld des Gatten glaubt. Aber wer sagt hier die Wahrheit? Und wie tauglich ist der Videobeweis?
Ursina Landi spielt überzeugend die Femme Fatale. Alle verfallen ihrer Ausstrahlung, sogar Lannert hat Mühe, sich abzugrenzen. Wie glaubwürdig ist ihre Behauptung, die konträr zur Aussage des männlichen Akteurs steht? Der TATORT »Videobeweis« behandelt das Thema nicht aus moralischer Sicht, sondern aus filmisch-ästhetischer. Kann man dem, was man da sieht, trauen? Oder vielmehr: Kann man der eigenen Wahrnehmung vertrauen? Ist sie nicht gelenkt durch die eigene Perspektive und Geschichte?
Die plötzlich auftauchenden Eisblumen mitten im Film, in dem die Akteure so gar nicht winterlich eingehüllt sind, erhalten am Ende doch noch einen Sinn. Dass Fernseh-Kommissare ihre Waffen mit nach Hause nehmen und dort achtlos auf einer Kommode ablegen, ist dem Unterhaltungswert geschuldet.
Rudi Gaul, Regisseur und gemeinsam mit Katharina Adler verantwortlich für das Drehbuch des Stuttgarter Tatorts »Videobeweis«, wollte mit dem Film eine Hommage an den Erotik-Thriller »Basic Instinct« schaffen. Das erzählte er im Gespräch zum Film auf der Ludwigshafener Parkinsel. Ihn begleiteten Schauspieler Richy Müller, der »iwwer der Brücke« in Mannheim aufgewachsen ist, Schauspielerin Lisa Wildmann, Kameramann Stefan Sommer, Saskia Metten (Schnitt) und Nils Reinhardt (Produktion).
Beim Filmgespräch wurde Richy Müller von Moderator Rüdiger Suchsland gefragt, wie er die Kontinuität der Figur unter verschiedenen Regisseuren hält. Richy erwiderte, er sehe sich als Schauspieler als Dienstleister. Er gucke, was will der Regisseur von mir? Was will er sehen? Er lasse sich gerne führen und will als Schauspieler offen und neugierig sein. In »Videobeweis« greift er sogar zur Gitarre und spielt die Filmmusik an und durfte am Kommissar eine neue Seite zeigen.
Regisseur Rudi Gaul kommt von sich aus auf die Diskussion um »Me Too« zu sprechen, woran man beim Sehen des Filmes unweigerlich denkt. Aus seiner Sicht ist der Film ein Versuch, Ambivalenz aufzuzeigen und nicht eindeutig schwarz oder weiß zu zeigen.
Fragen aus dem Publikum an den Produzenten Nils Reinhardt werden von dem beantwortet: Die Entwicklung des Drehbuches habe ein Jahr gedauert, ein halbes Jahr war die Produktion beschäftigt, in der Regel stehen für einen TATORT 24 Drehtage zur Verfügung und er kostet circa 1,5 Millionen Euro. Es werden zwei Stuttgart-TATORTe pro Jahr gedreht.
Mit Richy Müller und Felix Klare spielen Ursina Lardi und Oliver Wnuk die Episodenhauptrollen, in weiteren Rollen sind u. a. Karoline Bär, Sarah Masuch, Ulas Kilic, Ruby M. Lichtenberg, Lisa Wildmann und Jürgen Hartmann zu sehen. Produzent ist Nils Reinhardt, Kamera Stefan Sommer, Schnitt Saskia Metten, Szenenbild Andreas C. Schmid, Kostümbild Caroline Sattler, Besetzung Marion Haack, Produktionsleitung Mike Sauer. Die Redaktion liegt bei Brigitte Dithard.
Der Sendetermin in der ARD wird noch bekannt gegeben. Beim 17. Festival des Deutschen Films wird er nochmals am Samstag, 18. September 2021, gezeigt.