Tage des letzten Schnees

Henry Hübchen bei seiner Ankunft auf dem roten Teppich auf der Parkinsel in Ludwigshafen. Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz

Tosender Applaus ist im bis auf den letzten Platz besetzten Filmzelt auf der Ludwigshafener Parkinsel zu vernehmen, als Henry Hübchen die Bühne betritt. Vollends tobt der Applaus bei Bjarne Mädel. Der Saal kocht regelrecht, nicht nur wegen der Temperaturen an diesem heißen Spätsommerabend. Gemeinsam mit einer großen Crew sind die beiden zur Premiere von Tage des letzten Schnees angereist. Ungefähr 20 Personen sind es, die Festivaldirektor Michael Kötz auf die Bühne holt und jeden kurz vorstellt.

Der Film entstand nach der Romanvorlage von Jan Costin Wagner, der ebenfalls auf die Bühne kommt und sich dem Publikum präsentiert. Das Drehbuch zum Film schrieb nicht er selbst sondern Nils-Morten Osburg. Auch er ist anwesend und wie er im Filmgespräch verraten wird, begegnen sich die beiden heute zum ersten Mal persönlich.

Ein Mann, ein glücklicher Mann, so scheint es, verabschiedet sich von seiner Frau und fährt wenig später durch Schneetreiben. Ein Wagen kommt ihm in überhöhter Geschwindigkeit entgegen, blendet ihn und zwingt ihn zum Ausweichen. Das Paar verliert seine Tochter, ihr einziges Kind. In einem zweiten Handlungsstrang verliebt sich ein Banker in eine Frau, die für die Filmschauenden auf Anhieb als das identifiziert werden kann, was sie im Film spielt. Aber Liebe oder vielleicht auch die Projektion derselben macht ja bekanntlich blind. Und so erkennt der „Liebeskasper“ die teure Falle nicht, in die er tappt.

Beim ersten Bild in Großaufnahme von Bjarne Mädel, der den Hamburger Banker spielt, ist zu ahnen, welch ein schicksalhafter, kurzer Moment den Banker und den Architekten verbindet. Dieser kurze Sekundenschlag ist irreversibel, wobei der Banker die Folgen für den anderen vermutlich nicht einmal mitbekommen hat. Er ist viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt als dass er dazu in der Lage wäre, das Drama des anderen wahrzunehmen. Bjarne Mädel, der vielen aus seiner überaus komischen Rolle in „Mord mit Aussicht“ und als „Tatortreiniger“ bekannt ist, überzeugt ebenso in dieser ernsten Rolle.

Kommissar Fischer (Henry Hübchen) hat vor einem Jahr seine Frau verloren und ist derjenige, der die beiden Handlungsstränge am Ende gewieft verbindet.

Barnaby Metschurat und Victoria Mayer spielen mit Bravour das Paar, das aus seinem Glück so jäh herausgerissen wird und sich einen weiteren gemeinsamen Weg erarbeiten muss. Frauen gehen mit ihrer Trauer anders um als Männer. Mercedes Müller spielt mit Verve die Schöne, die ein halbes Dorf in Rumänien mit ihrer „Arbeit“ unterhält. Es ist ihre zur Schau getragene Leichtigkeit, gepaart mit ihrem Aussehen, das sie zur Projektionsfläche ihrer „Freier“ macht. Wie Fliegen gehen sie ihr auf den Leim, holen sie von Frankfurt nach Hamburg. Eingelullt in Zukunftsträume mit der angeblichen Kunstgeschichtsstudentin sind sie nicht in der Lage zu erkennen, dass sie selbst lediglich Teil eines besonderen Geschäftsmodells sind.

Ein Aspekt des Films neben der Frage von Schuld ist, dass Glück zerbrechlich und genau darum so kostbar ist. Glück ist auf unserem Erdball ungleich verteilt. Manche haben zu dem vermeintlich besseren westlichen Lebensmodell einzig Zugang durch Prostitution.

Im Filmgespräch bezeichnet Romanautor Jan Costin Wagner seinen Stoff als Schicksalsdrama. Inwiefern ist das Schönstmögliche geknüpft an das Schlimmstmögliche? Wie kann man nach so einem schlimmen Erlebnis weiterleben? Der Film kreist aber auch um Schuld und Loslösung von Schuld. Für ihn kann die Geschichte nur fortwirken im Leser, wenn Räume geöffnet werden.

Für Regisseur Lars-Gunnar Lotz ist es auch ein Film über Einsamkeit. Der Kommissar ist einsam, Bjarne Mädel ist in seiner Rolle einsam und die Mutter des getöteten Mädchens ist in ihrer Trauer einsam.

Bjarne Mädel hat alle Bücher von Jan Costin Wagner gelesen. Und genau die Romanvorlage für diesen Film hatte er schon einem Freund gezeigt und gesagt, dass muss unbedingt verfilmt werden. Er ist sehr froh, nun Teil des Films zu sein. Für ihn ist es ein Kinofilm, egal wo er läuft, weil er so toll gefilmt ist.

Regie: Lars-Gunnar Lotz, Drehbuch: Nils-Morton Olsburg nach dem gleichnamigen Roman von Jan Costin Wagner, Bildgestaltung: Jan Prahl, Montage: Philipp Thomas, Ton: Christoph Köpf, ProduzentInnen: Silke Pützer, Wolfgang Cimera, Redaktion: Stefanie von Heydwolff (ZDF), Karina Ulitzsch (ZDF).

Der Film ist für den Medienkulturpreis 2019, den Filmkunstpreis 2019 und für den Rheingold-Publikumspreis nominiert. Preise, die dem Film allesamt zu wünschen sind.

„Tage des letzten Schnees“ läuft beim Festival des deutschen Films nochmals am 5. September. Zum gesamten Programm hier klicken.

Bjarne Mädel auf dem roten Teppich in Ludwigshafen. Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz
Barnaby Metschurat und Vicoria Mayer erleben in "Tage des letzten Schnees" eine dramatische Wendung ihres bis dahin glücklichen Lebens. Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz
Christina Große ist in "Tage des letzten Schnees" eine einsame Ehefrau. Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz
Mercedes Müller, umschwärmte Kunstgeschichtsstudentin in "Tage des letzten Schnees". Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz
Im Filmgespräch zu "Tage des letzten Schnees": Links beginnend: Julia Teichmann (Moderatorin), Barnaby Metschurat (Schauspieler), Bjarne Mädel (Schauspieler), Mercedes Müller (Schauspielerin), Lars-Gunnar Lotz (Regisseur), Victoria Mayer (Schauspielerin), Henry Hübchen (Schauspieler), Jan Costin Wagner (Schriftsteller), Nils-Morton Osburg (Drehbuchautor) und Produzentin Silke Pützer . Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz