TATORT: Borowski und die große Wut

Ankunft des Filmteams zum TATORT »Borowski und die große Wut« auf dem roten Teppich beim Festival des deutschen Films in Ludwishafen am Rhein. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Dieser Kieler TATORT ist anders als seine Vorgänger. Gleich zu Beginn wird Borowski (Axel Milberg) eins übergezogen und er wird in die Klinik gebracht, wo er die meiste Zeit des Films telefonierend verbringt. Retrograde Amnesie ist das wohl, was er als Folge des Niedergeschlagenwerdens hat. Während er so daliegt, im Zwischenstadium zwischen Dahindämmern und Wachsein, erhält er den ersten Anruf. Ein kleines Mädchen ist dran. »Sie müssen mir helfen. Sie hat mich eingesperrt!« Bevor Borowski mehr herausfinden kann, ist das Gespräch zu Ende. Und so geht es weiter – die Telefonate werden ein wichtiges Element der weiteren Handlung. War es zunächst Finja (Jil Viets), die mit ihm telefonierte und behauptet, von ihrer großen Schwester Selina entführt worden zu sein, ist es bald Selina (Caroline Cousin), der eine Impulskontrollstörung nachgesagt wird, die die Telefonate übernimmt. Die Mutter der beiden, aufgesucht in ihrem schmalen, verklinkerten Reihenhaus mit der Eingangstür aus Pressglas, ist voller Ablehnung gegenüber ihrer älteren Tochter aus einer anderen Beziehung und sorgt sich lediglich um Finja. Stück für Stück wird das Psychogramm einer dysfunktionalen Familie ausgebreitet.

Eigentlich war Borowski, bevor er niedergeschlagen wurde, ermittelnd unterwegs, wegen der Frau, die vor einen Bus gestoßen wurde und daraufhin verstarb. Außerdem lag die Großmutter der beiden Mädchen erstochen in ihrem Haus. Nun muss seine Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) ohne ihn ermitteln. Schnell stellt sich eine Verbindung zwischen den Taten heraus.

Am Ende begibt sich Borowski an den Ort, wo er so brutal niedergeschlagen wurde und von der die aufwendig geschminkte Wunde auf seinem Hinterkopf zeugt. Er steigt in dem mit geschmacklosen Nippes vollgestopften Haus eine lange Treppe hinab. Die Einstellung wirkt, als befände er sich in einer abwärts führenden Schlucht, die unausweichlich in etwas Böses mündet. Borowski riecht und schmeckt sich durch das Haus, um seine Erinnerung wieder zu erlangen. Im Haus der Oma wohnte Selina und führte eine Beziehung zum verheirateten Nachbarn, der als Hausmeister just in der Klinik arbeitet, in der man Borowski behandelte.

Eine geheimnisvolle Krankenhaus-Bekanntschaft Borowskis, Maren (Sophie von Kessel), meist in rot gewandet und genussvoll rauchend, lässt sich gleich einer Arabeske nicht in die Handlung einordnen. Sie klaut die Weinflasche aus dem Zimmer des Kommissars, mit der dessen Chef ihn wegen des Schrottens seines Autos, das nun auf dem Autofriedhof liegt, trösten wollte.

Verschiedene Fährten werden im Laufe der Handlung bezüglich der Täterschaft gelegt und am Ende ergibt alles einen Sinn.

Mit Axel Milberg, Almila Bagriacik, Caroline Cousin, Sophie von Kessel, Jil Viets, Thomas Kügel, Anja Antonowicz, Roger Bonjour, Joel Williams, José Barros und anderen. Regie Friederike Jehn, Drehbuch Eva Zahn und Volker A. Zahn, Produzentin Kerstin Ramcke, Ausführende Produzentin Sabine Timmermann, Redaktion Sabine Holtgreve.

Im Anschluss an die Premiere auf der Parkinsel luden Julia Teichmann und Josef Schnelle zum Filmgespräch ein. Das ist das Besondere bei diesem Festival, Beteiligte am Film hautnah erleben zu können, Hintergrundwissen zum Entstehungsprozess zu erfahren sowie die Möglichkeit fürs Publikum, selbst Fragen zu stellen oder einfach nur zu sagen, was einem bei Zuschauen besonders bewegt und gefallen hat.

Regisseurin Friederike Jehn ist schon zum vierten Mal auf der Parkinsel, das Drehbuchautorenpaar Eva und Volker A. Zahn war auch schon mal auf der Insel. Mit auf dem Podium: Kameramann Sten Mende, Editorin Isabel Meier und der Dramaturg Alfred Holighaus.

Volker A. Zahn erzählt auf dem Podium vor geneigtem Publikum, wie sie beide zu ihren Ideen kommen und vom gemeinsamen Brainstorming beim Wandern. Eva Zahn beschreibt das fiktive Personal als gute Freunde, mit denen und über die sie reden. Ihr Mann pflichtet ihr bei, bei ihnen säßen immer Kriminelle und andere interessante Leute mit am Tisch. Sie zitiert den Satz »Die Laien warten auf Inspiration, die Profis setzen sich hin und arbeiten.« Als Julia Teichmann nach dem konkreten Arbeitsprozess fragt, antwortet sie, dass jeder seinen eigenen Schreibtisch und seinen eigenen Computer hat und sie ja immer an mehreren Projekten gleichzeitig arbeiteten und sie sich dann jeweils besprechen. Sie wissen, solange einer von ihnen beiden Probleme mit etwas hat, ist es noch nicht in Ordnung. Volker A. Zahn pflichtet seiner Frau bei, dass es bei ihnen passiert, dass sie über etwas fünf Minuten reden, und dann haben sie die Lösung.

Der Dramaturg Alfred Holighaus verrät dem Publikum, dass das rote Auto ohnehin kaputt ging und es deshalb rausgeschrieben wurde. Der Kameramann Sten Mende erzählt von der Visualisierung der Telefonate, dass sie dann eben die Funkmasten zeigten. Die Protagonistin, von der im Film lange nur die Stimme zu hören ist, war bei den Dreharbeiten hinter einer Glaswand dabei, um beim Telefonieren Emotionalität in den Stimmen zu erzeugen. Weiter führt er aus, dass Borowski sich in dieser Folge in einem Zustand befindet, der anders ist, in dem er anders hört und fühlt. Das Ganze wird erfahrbar, nachdem der Film gemischt wurde und dann noch die Musik dabei ist.

Aus dem Publikum kommt die Frage, was denn ein Dramaturg mache? Alfred Holighaus berichtet von AutorInnen, die alleine schreiben und die während des Schreibprozesses schon mal bei ihm anrufen. Grundsätzlich sucht er als Dramaturg neue Stoffe und Angebote für den Sender. Als Dramaturg arbeite er für die Produktion.

Von Isabel Meier erfährt das Publikum, dass Cutter jetzt Editoren heißen. Sie ist bei ihrer Arbeit zunächst alleine im Schneideraum und sichtet das gesamte Material. Je nach Regie ist sie frei, wie sie die Szenen schneidet. Die Regisseurin Friederike Jehn attestiert der Cutterin Isabel Meier ein ganz feines Gefühl für die Atmosphäre eines Films. Das Feedback aus dem Schneideraum von jemanden, dem man vertraut und auf dessen Ideen man Lust hat, sei eine ganz wichtige Position. Ein Film lebe ja von der Zusammenarbeit.

Eva A. Zahn erzählt, dass sie beim Schreiben überlegten, wie sie Borowski daran hindern könnten, rauszugehen und zu ermitteln. Deshalb bekommt er gleich zu Beginn »eine übergezogen«.

Alfred Holighaus unterstreicht den wichtigen Satz, der im Film auf Borowski gemünzt fällt: »Er hat eine Kondition wie ein Ochse.« Volker A. Zahn klärt die Nebengeschichte der rotgewandeten Frau auf. Die Figur Maren, gespielt von Sophie von Kessel, sei ein poetischer Unterton, den sie beide als Drehbuchautoren unbedingt haben wollten.

Marion Haack, die für das Casting zuständig war, sitzt im Publikum und erzählt auf Nachfrage, dass es eine besondere Aufgabe war, die Rolle der Selina zu casten. Das Thema Stimme war auf einmal so im Vordergrund. Es war eine geniale Idee, dass sie mit am Set war, um die Emotion so richtig rüber zu bringen. Das war für die Schauspielerin eine spannende Aufgabe. Regisseurin Friederike Jehn pflichte ihr bei, dass Selina eine Figur ist, die anstrengend ist. Sie hätten viel darüber diskutiert und wollten jemand, die eine Kraft hat, die andere auch einschüchtert. Die Figur der Selina ist streitbar, laut und geht an Grenzen. Caroline Cousin sei grade von der Schauspielschule gekommen und die Rolle wäre eine schöne Herausforderung für sie gewesen. »Sie war so gut und so stark.«

Der Film ist nominiert für den Filmkunstpreis und den Rheingold Publikumspreis 2022 . Das Drehbuchautorenpaar der Folge, Eva Zahn & Volker A. Zahn, wurde mit dem Ludwigshafener Drehbuchpreis des Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen am Rhein ausgezeichnet.

Ein Sendetermin im Fernsehen ist derzeit noch nicht bekannt.

Das 18. Festival des deutschen Films in Ludwigshafen findet vom 24. August bis zum 11. September 2022 statt. Das gesamte Programm findet ihr auf der Festivalseite Festival des deutschen Films.

Dramaturg Alfred Holighaus und Regisseurin des TATORTs »Borowski und die große Wut« Friederike Jehn. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz
Eva Zahn und Volker A. Zahn schrieben das Drehbuch zum TATORT »Borowski und die große Wut«. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz
Im Filmgeschpräch zum TATORT »Borowski und die große Wut«. Links beginnend: Moderator Joesef Schnelle, Regisseurin Friederike Jehn, Drehbuchautor Volker A. Zahn, Drehbuchautorin Eva Zahn, Kameramann Sten Mende, Editorin Isabel Meier, Dramaturg Alfred Holighaus und Moderatorin Julia Teichmann. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz
Regisseurin des TATORTs »Borowski und die große Wut«, Friederike Jehn (rechts im Bild) und das Drehbuchautorenpaar Eva Zahn & Volker A. Zahn. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz