»Tuliliilia« – ein mystischer Thriller aus Estland

Regisseurin und Drehbuchautorin Maria Avdjushko stellte ihren ersten Spielfilm »Tuliliilia« auf dem Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg vor. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz

Schon in der ersten Einstellung rutscht langsam die Bettdecke herunter. Wie von Geisterhand gezogen. Oder steckt doch ein Mensch dahinter? Gleich darauf diagnostiziert die 38-jährige Augenärztin Pia (Ingrid Isotamm) bei einem Patienten eine Virusinfektion im Auge.

Als sie später nach Hause kommt, wird sie mit Geschrei von der neuen Lebensgefährtin ihres Mannes empfangen. Ups, da hatte sie wohl vergessen, dass sie dort nicht mehr wohnt. Denn ihr Mann hat sich von ihr scheiden lassen, weil sie keine Kinder bekommen kann – nach 15 Jahren Ehe.

Zwischen Lust und Horror

Als sie am Morgen aufwacht, ist sie nackt. Ihr Pyjama liegt auf dem Boden. Und der Fensterputzer grinst frech in ihre Wohnung. Immer wieder hat sie erotische Träume und wacht sogar von einem Orgasmus auf. Pia hört Geräusche in ihrem Apartment und glaubt wiederholt, dass jemand in der Wohnung ist. Sie überprüft alle Schlösser, kann aber nichts finden. Dazu hört man immer wieder unheimlichen Wind, der zusammen mit der Musik eine Stimmung erzeugt wie im Horrorfilm, sodass man jederzeit erwartet, dass etwas Schreckliches passiert. Eines Tages wacht Pia sogar mit einem Knutschfleck am Hals auf.

Dazwischen sieht man immer wieder Szenen aus dem ganz normalen Tagesablauf. Insgesamt besticht der Film durch diese vollkommen ruhigen Szenen, die in einer faszinierenden Langsamkeit gedreht sind. Doch dann wird es wieder unheimlich. Als Pia in einer Bar einen Mann abschleppt, wird dieser in ihrem Schlafzimmer plötzlich von einem kräftigen Windstoß (wo kommt der bloß her?) erfasst und verletzt.

Als Pia den 5-jährigen Sohn Peetricke (Rasmus Kallas) ihrer Freundin Ida (Eva Eensaar-Tootsen) bei sich aufnimmt, weil die zu ihrem Ehemann nach Indien reist, hört auch der die Schritte in der Wohnung, das Knarzen und den Wind und fürchtet sich vor vermeintlichen Monstern.

Die Geister und der Stalker

Sind hier Geister im Spiel oder bildet sich Pia das nach dem Genuss von Rotwein und in ihrer Trauer um die beendete Ehe alles nur ein? Oder handelt es sich hier um einen ganz besonders raffinierten Fall von Stalking? In einigen Szenen hat man schon den Eindruck, dass Pia beobachtet wird …

Als Pia dann in einer Bar angegriffen wird und vergewaltigt werden soll, gibt es wieder einen kräftigen Windstoß aus dem Nichts, bei dem diesmal Pia verletzt wird. Als sie im Krankenhaus wieder aufwacht, wird festgestellt, dass sie in der sechsten Woche schwanger ist – und das, obwohl sie gar keine Kinder bekommen kann. Pia begibt sich auf die Suche nach dem Vater, verdächtigt erst ihren Ex-Ehemann – schließlich hat der ihr Appartement gekauft und hat vielleicht noch einen Schlüssel – dann pilgert sie zu ihrem Arzt, zu einer »Hexe« und zu einem Geistlichen…

Obwohl der Film von Regisseurin Maria Avdjushko, die auch das Buch für diesen Film geschrieben hat, mit seiner Aneinanderreihung von unaufgeregten Einzelszenen völlig anders gemacht ist als ein herkömmlicher Thriller, bei dem die Spannung ja häufig durch hektische, schnelle Szenen erzeugt wird, ist »Tuliliilia« extrem spannungsgeladen. Und als dann auch noch der Vergewaltiger vom Dach einen sechsstöckigen Gebäudes fällt, fragt man sich als Zuschauer schon, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht oder ob der Film schlussendlich bei der Geburt womöglich noch Anleihen bei »Rosemaries Baby« nehmen könnte oder ob es sich doch um ein Wunder handelt.

Eine klare Empfehlung für alle, die spannende Filme im Dreieck Crime, Horror und Geisterwesen lieben.

Filmgespräch

Ein Film, der auch die Frage nach dem Sinn des Lebens aufgreift und wie man nach einem gescheiteren Lebensentwurf weiterleben kann – ganz abgesehen von dem Problem, ob es zwingend ist, den Vater seines Kindes zu kennen. Schließlich sei dies für ca. 15% der Frauen die Realität, meinte Regisseurin Maria Avdjushko, die auch Schauspielerin ist und das Buch für diesen Film ursprünglich für sich selbst geschrieben hatte, weil es so wenige starke Rollen für weibliche Protagonisten gibt, im Publikumsgespräch, das nach der Vorführung des Films auf dem Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg stattfand. Auch wolle der Film keine Antworten liefern, sondern eher Fragen aufwerfen und zeigen, wie die Realität von unterschiedlichen Personen auch unterschiedlich wahrgenommen werde.

Der Titel des Films »Tuliliilia« (deutsch »Feuer-Lilie«) weist übrigens auf eine Tätowierung von Pia hin, die dem Zuschauer eine Erklärung über den tatsächlichen Vater des Kindes geben könnte, wurde aber auch gewählt, weil Feuer-Lilien zwittrige Blüten haben, verriet die ebenfalls anwesende Produzentin Aet Laigu.

»Tuliliilia« läuft auf dem Internationalen Filmfestival Mannheim-Heidelberg mit englischen und deutschen Untertiteln in der Reihe »International Discoveries« und ist während des Festivals noch mehrfach zu sehen.

Pia (Ingrid Isotamm, rechts) mit ihrer Freundin Ida (Eva Eensaar-Tootsen). Foto: © Meteoriit
Filmgespräch im Kino Atlantis: Julia Teichmann (Moderatorin), Maria Avdjushko (Regisseurin) und Aet Laigu (Produzentin)