Val McDermid im Gespräch mit Günter Keil

Das Foto zeigt die Schriftstellerin Val McDermid. Foto: © KT Bruce

Günter Keil im Interview mit Val McDermid zu »Ein Bild der Niedertracht«, übersetzt von Kirsten Reimers.

Günter Keil: Hamish ist der neue Mann an Karen Piries Seite. Wird der Porridge zum Streitpunkt?

Val McDermid: Nunja, sie ist in gewisser Weise besorgt über die Art ihrer Beziehung. Und der Brei wird zu einer Art Sinnbild ihrer Zweifel an ihrer Beziehung. Sie kommen aus einem sehr unterschiedlichen Hintergrund. Hamish aus einer wohlhabenden Mittelschicht und Karens Hintergrund ist eher der der schottischen Arbeiterklasse. Sie denkt, dass sie die Welt unterschiedlich sehen und ist sich nicht sicher, ob das unbedingt etwas ist, was die Beziehung funktionieren lässt. Oder ob es ein unlösbares Problem sein wird. Ob die Differenzen zwischen ihnen zu groß sind. Sie wollte z.B. zur Feier ihres Geburtstages für ein Wochenende auf eine Hütte in den Highlands fahren, aber er hat sie für das Wochenende nach Venedig gelockt. Was viele für die bessere Option halten würden, aber ihrer Ansicht nach »ist das nicht das, worum ich gebeten hatte.« Beziehungen sind also nie einfach, oder?

Günter Keil: Der Tote, der von einem Fischer gefunden wird, ist Paul Allard, ein Mann mit vielen Geheimnissen. Was möchten Sie uns über ihn erzählen?

Val McDermid: Nicht sehr viel, ich glaube, das ist ein Roman, über den ich mich schwer tue, im Detail zu sprechen, weil fast alles, was ich sage, ein Spoiler ist. Nur in Kürze: Die Polizei stellt fest, dass dieser Mann, der aus dem Meer gefischt wird, in Wirklichkeit ein Verdächtiger in einem Fall ist, der zehn Jahre zurückliegt und in dem ein hoher schottischer Beamter verschwunden ist. Man nimmt an, dass er getötet wurde und hat ihn für tot erklärt. Und so wird ein aktueller Fall zu Karens Aufgabe. Denn eigentlich ermittelt sie nur in historischen Fällen, aber weil der Tote eng mit diesem früheren Fall verbunden war, wird er an sie weitergegeben. Und so fängt sie an, der Sache nachzugehen und deckt überraschende Zusammenhänge auf, die 10 Jahre vor dem Verschwinden dieses Mannes noch nicht sichtbar waren.

Günter Keil: Unerwartete Unterstützung bekommt Karen von Daisy Mortimer. Wer ist sie?

Val McDermid: Daisy ist eine neue berufliche Beziehung. Karens Kollege ist eigentlich Jason The Mint. Aber diesmal bekommt sie eine neue Kollegin, mit der sie an dem Fall der Leiche im Firth of Forth arbeiten soll, denn sie haben es mit einem aktuellen und einem historischen Fallzu tun. Daisy wird ihr von der Mordkommission zugeteilt. Daisy ist jung und ehrgeizig, aufgeweckt und quirlig und ganz anders als Karen. Sie steht auch noch am Anfang ihrer Karriere, sie ist eine Praktikantin und muss noch viel lernen. Im Großen und Ganzen verstehen sie sich ziemlich gut. Obwohl Karen einen tiefen Groll gegen die Tatsache hegt, dass Daisy eine dieser Frauen ist, die ihr eigenes Körpergewicht in Kuchen und Keksen und Sandwiches essen können und trotzdem nicht zunehmen. Wie jede Literatur, gute Literatur, lebt auch die Kriminalliteratur von den Charakteren. Es ist die Figur, die den Roman immer vorantreibt, die den Leser vorantreibt. Man liest weiter, weil man sich für die Figur interessiert, man will wissen, was mit ihr passiert. Es spielt keine Rolle, ob man sie liebt oder hasst. Man muss sich mit den Personen im Buch beschäftigen, um weiter zu lesen. Für mich ist die Entwicklung einer neuen beruflichen Beziehung für Karen ein weiterer Weg, die Leser zu fesseln. Sie haben das Gefühl, dass sie etwas Frisches bekommen, zusätzlich zu dem, was sie gewohnt sind.

Günter Keil: Wir sind beide nicht Hercule Poirot, sagt Daisy in einer Szene. Gemeint ist damit...

Val McDermid: ...dass sie nicht dasitzen und die kleinen grauen Zellen die Arbeit machen lassen. Sie sind tatsächlich da draußen und ermitteln, führen Befragungen durch, schauen sich die Details an, um das Verbrechen minutiös zu untersuchen. Es geht nicht um die traditionelle Suche nach Hinweisen wie in einem Agatha Christie- oder Sherlock Holmes-Roman. Sie wird nicht von einem einzigen brillanten Verstand angetrieben. Es geht vielmehr um Teamarbeit, es geht darum, zu wissen, wo man suchen muss, um herauszufinden, was man braucht.

Günter Keil:Viele Personen im Buch haben Spitznamen. Karens Kollegen nennen sie auch »KP Nuts«?

Val McDermid: KP ist eine Marke für geröstete Erdnüsse in Großbritannien. Und‚ »nuts« bedeutet auch verrückt. Karens Initialen sind KP. Also ist ihr Spitzname »KP Nuts«. Ich weiß nicht, ob es in Deutschland genauso ist, aber in Schottland geben Polizisten Spitznamen für einander. Also musste ich Karen einen Spitznamen geben –und da dachte ich an »KP Nuts«.Ihr KollegeJason wird »The Mint« genannt, »Minzdrops«. Sein Name ist Jason Murray. In Schottland hatten wir mal eine Marke für Minzschokolade Murray Mints. Und der Slogan war: »Murray mints, Murray mints -too good to hurry mints.«.Und Jason, der etwas langsam ist, wird zu »The Mint«, »Minzdrops«. Und auch andere leitende Angestellte haben Spitznamen. Einer von Karens ehemaligen Chefs wurde »Die Makrone« genannt. Wiederum nach einer Süßwarenmarke. Sein Name war Simon Lee. Und es gab eine Marke namens Lees Makronenriegel, die in Schottland sehr beliebt war, und so war er die »Makrone«.

Günter Keil: Und es gibt noch Anne Markie - genannt der »Hundekuchen«?

Val McDermid: Wir haben eine Marke für Hundeleckerlis, genannt Markies. Daher ist Anne Markie auch bekannt als der »Hundekuchen«.

Günter Keil:In Ihren Kriminalromanen findet man Humor und Irionie. Wie viel ist davon geplant?

Val McDermid: Ich glaube, das ist eine sehr schottische Sache. Die Schotten haben einen sehr schwarzen Sinn für Humor. Wir finden immer Humor in der Düsternis. Ich denke, historisch gesehen war das Leben oft sehr schwierig. Viele Leute hatten ein hartes Leben und man musste lachen, sonst endete man weinend. Wir haben also traditionell diesen gälischen Humor in Schottland, wir lachen an den dunkelsten Orten. Einige der lustigsten öffentlichen Anlässe, an denen ich teilgenommen habe, waren Beerdigungen, bei denen die Geistlichen der Verstorbenen in Bezug auf ihr Leben gedachten und Witze über sie erzählten und lustige Geschichten. Also ja, wir lachen gerne im Angesicht des Widersprüchlichen.Das ist sogar ein häufiges Merkmal in schottischen Krimis. Es wird oft als »Tartan Noir« bezeichnet. Ich denke, wir beschäftigen uns mit der Dunkelheit, mit der dunklen Seite der menschlichen Psyche. Ich denke oft, es hat mit der Reformation und der dunklen Seite des schottischen Protestantismus zu tun. Aber der Gegenpol zum dunklen Presbyterianischen, ist der Humor, die Musik und der Tanz von der gälischen Seite unserer Geschichte. Ich denke also, man hat immer diese Dinge, die gegeneinander ziehen, und das ist oft ein Merkmal der schottischen Krimis. Denn wir haben diese dunklen Obsessionen, wenn die Psyche des Menschen abdreht. Aber gleichzeitig finden wir eine andere Art von Schräge-den schrägen Humor.

Günter Keil: Und die Serie ist tatsächlich aus Zufall entstanden?

Val McDermid: Aus purem Zufall! Karen spielt eine kleine, aber sehr wichtige Rolle in "Echoeiner Winternacht". Und ein paar Jahre danach hatte ich die Idee zu einem Cold Case, der ebenfalls in Fife spielt. Und weil ich im Grunde ziemlich faul bin, dachte ich, ich habe schon eine Cold-Case-Detektivin - ich nehme sie einfach. Und so habe ich mir Karen geschnappt und "Nacht unter Tag" geschrieben. Und wenn man einmal angefangen hat, mit einer neuen Figur zu arbeiten, fängt man an, alle Möglichkeiten für sie zu sehen. Und so wurde sie zu jemandem, der den wesentlichen Teil meines Gehirns und meiner Vorstellungskraft einnimmt. Also nein, das war nicht beabsichtigt.

Günter Keil: Wird es mit Karen weitergehen?

Val McDermid: Auf jeden Fall. Ich habe schon die Idee für den nächsten Karen-Pirie-Roman. Also keine Sorge. Karen Pirie wird derzeit auch verfilmt: »Echo einer Winternacht«, der erste Roman mit ihr. Gefilmt wird hier in Fife und nicht weit von hier in St. Andrews. Und wird im nächsten Frühjahr auf den britischen Bildschirmen zu sehen sein und ich hoffe, auch bald in Deutschland.

Zum Interview mit der Übersetzerin von »Ein Bild der Niedertracht«, Kirsten Reimers, hier auf Kriminetz:
hier klicken. Kriminetz traf Kirsten Reimers bei der Buchmesse in Frankfurt.

Der neue Titel von Val McDermid, erschienen bei Droemer Knaur, übersetzt von Kirsten Reimers.