Einige werden sich noch an die kryptischen Anzeigen in einer großen Wochenzeitung erinnern, die im Nachhinein der Leserschaft als Botschaften an die Entführer von Jan Philipp Reemtsma erklärt wurden. 33 Tage lang bangte die Familie im Jahr 1996 um ihn. Jan Philipp Reemtsma hat mit »Im Keller« seine brutale Entführung aufgearbeitet. Doch nicht nur das Leben der direkten Opfer einer Gewalttat erfährt eine Zäsur, auch die Familie ist unmittelbar und nachhaltig betroffen. Mit »Wir sind dann wohl die Angehörigen« hat der Sohn von Jan Philipp Reemtsma und seiner Frau Ann Kathrin Scheerer, Johann Scheerer, ein Buch aus seiner Sicht veröffentlicht.
Hans-Christian Schmid hat nach dieser Romanvorlage gemeinsam mit Martin Gutmann ein Drehbuch erstellt und beim Film, dessen Produzent er war, Regie geführt. Der Film steigt ein mit einer Szene, wie sie Eltern pubertierender Kinder hinlänglich bekannt ist. Der Tag endet in der Familie disharmonisch. Am Morgen weckt die Mutter, dargestellt von Adina Vetter, ihren Sohn, herausragend gespielt von Claude Heinrich, mit der Nachricht, dass der Vater entführt wurde.
Wenig später betreten die »Angehörigenbetreuer« das Haus der Familie. Johann wird in der Schule wegen Mumps krank gemeldet. Auch der Anwalt der Familie wird hinzugezogen und bringt im Film ein Wiedersehen mit Justus von Dohnányi, der beim diesjährigen Festival des deutschen Films Ludwigshafen am Rhein mit dem Preis für Schauspielkunst ausgezeichnet wird. Die Entführer fordern 20 Millionen D-Mark. Aufgrund von Pannen, für die die Polizei verantwortlich ist, misslingt die erste Übergabe. Der Konflikt wird folgendermaßen zusammengefasst: Die Polizei will die Täter fassen – die Familie will ihren Angehörigen zurück. Auch eine weitere Übergabe scheitert. Schließlich wird die geforderte Summe auf 30 Millionen D-Mark erhöht.
Der Film zeigt psychologisch einfühlsam die Auswirkungen der Tat auf die einzelnen Beteiligten und scheut auch nicht davor zurück, Zusammenbrüche zu zeigen, ohne dabei je indiskret zu sein. Der Film endet mit der Freilassung und dem Wiedertreffen der Familie, für die nichts mehr so war wie zuvor.
Nach der Vorführung von »Wir sind dann wohl die Angehörigen« lud Moderator Josef Schnelle ein zum Filmgespräch mit Schauspielerin Adina Vetter, Schauspieler Claude Heinrich und Regisseur Hans-Christian Schmid. Vorlage war für den das Buch, mit dem Johann Scheerer die Deutungshoheit zurückgewann. Der Autor wollte aufzeigen, wie die Geschehnisse für ihn und seine Mutter waren. Jungschauspieler Claude Heinrich hat sich mithilfe des Romans auf seine Rolle vorbereitet, da der Autor dort seine Emotionen zur Zeit der Entführung beschreibt. In weiteren Rollen sind u.a. zu sehen: Hans Löw, Yorck Dippe, Enno Trebs und Fabian Hinrichs.
Hans-Christian Schmid erzählt, dass die Familie nicht versucht habe, die Dreharbeiten zu beeinflussen. Es war jedoch sein Anspruch, alles so zu erzählen, dass alle damit leben können. Johann Scheerer selbst habe das Ganze möglich gemacht und die Kontakte hergestellt. Schauspielerin Adina Vetter sagt, sie hätten viel Zeit gehabt und deshalb sehr penibel und fein vorgehen können. Der von ihr im Film dargestellten Ann Kathrin Scheerer sei es darum gegangen, dass alles psychologisch genau sei. Sie und ihr Sohn haben den Film zu zweit in einem Kino gezeigt bekommen, so der Regisseur. Alle anderen hätten mittlerweile den Film ebenfalls gesehen und kämen damit klar. Für den Film wurde nach Übersetzungsmöglichkeiten für die innere Entwicklung der Figuren gesucht, die veräußerlicht wird. Auf Nachfrage aus dem Publikum folgt die Erklärung, dass das im Film gezeigte Haus nicht das reale der Familie ist. Vielmehr war es eines, das unweit davon stand und grade für zwei Monate leer war. Musik wird im Film sparsam eingesetzt, da Hans-Christian Schmid keine Gefühlsvorgabe für das Publikum geben will. Die Musik im Film kommt von einer Independentband, »The Notwist«, und war für den deutschen Filmpreis 2023 nominiert.
Der Film ist als DVD erhältlich.
Das gesamte Programm findet ihr hier: festival-des-deutschen-films.de.


