Im Gespräch mit Leon de Winter

Das Foto zeigt Leon de Winter, dessen Thriller "Ein gutes Herz" bei der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wurde. © Foto: Jürgen Schmid, Kriminetz

Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter hat mit Ein gutes Herz einen Thriller geschrieben. Dies war der Anlass für Kriminetz, den Schriftsteller und Filmschaffenden bei der Frankfurter Buchmesse zu interviewen. Leon de Winter erhielt den WELT-Literaturpreis für sein Gesamtwerk und wurde mit der Buber-Rosenzweig-Medaille ausgezeichnet. Bisher sind elf seiner Romane in deutscher Übersetzung im Diogenes-Verlag erschienen. Er ist mit der Schriftstellerin Jessica Durlacher verheiratet und lebt in Amsterdam und Los Angeles.

Leon de Winter befindet sich noch bis Ende November auf einer Lesereise mit „Ein gutes Herz“ in Deutschland, Österreich und in der Schweiz.

Kriminetz: Sie haben sich, neben anderen realen Figuren, auch selbst in Ihren Roman hinein geschrieben. Was sagte Ihre Frau Jessica Durlacher dazu, die Sie ebenfalls erwähnen, dass sie Sie im Roman wegen eines reichen Architekten verlässt?

Leon de Winter: Es war notwendig, dass in dieser Geschichte eine Figur auftritt, die Leon de Winter heißt, dafür gab es viele Argumente. Aber dann entstand die Frage, was mache ich mit meiner Frau? Denn wenn ich einen Schriftsteller mit meinen Namen beschreibe, dann soll auch seine Gattin vorkommen. Und ich wusste, das kann nur schief gehen.
Dann dachte ich, wir sind geschieden, sie hat mich verlassen. Ich habe das meiner Frau erklärt: Ich kann dich nicht in meinen Buch beschreiben, denn egal, welche Superlative ich verwende: Es ist unzureichend, du bist böse mit mir und nicht zufrieden damit. Und so habe ich mir überlegt, wir sind geschieden.
Ich fragte, mit wem hast du mich im Roman betrogen? Sie antwortete sofort: Mit einem reichen Architekten in Kalifornien.
Ich habe das nicht erfunden, es ist die Antwort meiner Frau gewesen.

Kriminetz: Sonja, die perfekte Schöne, starke und finanziell unabhängige Ärztin, kennt beinahe alle Männer, die im Roman eine Rolle spielen. Von Max, dem Ganoven, hat sie einen Sohn. Mit Jimmy, dem Franziskanermönch mit dem guten und großen Herzen, hatte sie eine Affäre. Und auch mit Leon de Winter unterhält sie eine Beziehung.

[Leon de Winter wirft lachend ein:] Es war eine große Freude und eine große Ehre für mich.

Kriminetz: Sind Frauen ein verbindendes Element zwischen den Männern?

Leon de Winter: Nein, nein, Frauen zerschneiden alle Bande, sie machen Männer verrückt. Frauen als verbindendes Element? Nein, Männer kämpfen natürlich, sie sind wie wilde Tiere, wenn es um eine schöne Frau geht. Aber hier besteht die Verbindung durch die Zeiten natürlich über Sonja, sie haben alle Sonja kennengelernt. Sie wissen alle, das ist eine unglaubliche Frau. Aber Leon weiß, sie ist nicht für ihn. Er ist nur dritte Wahl, Sonjas große Liebe ist Max. Auch Jimmy weiß dass, nur Max selbst weiß es nicht. Aber der Leser wartet bis zum Ende, was wird passieren, kommen die beiden zusammen?

Kriminetz: Der Verbrecher und Lebemann Max erhält das Herz des Franziskanermönches Jimmy. Es erinnert mich ein wenig an das Gleichnis vom verlorenen Sohn, das geschenkte Herz ist wie eine Art Heimkehr für ihn. Hat Max das Herz mehr verdient als ein „guter“ Mensch?

Leon de Winter: Nein, sicher nicht, Aber er hat es dank Sonja verdient. Denn eigentlich ist Sonja die große Liebe von Jimmy, neben Gott natürlich. Aber die große Liebe von Sonja ist Max. Was wäre schöner für Jimmy, denn er weiß ja, dass er bald sterben wird, als über Max, in dem sein Herz weiter lebt, Sonja zu lieben? Hat Max es verdient? Nein, aber Sonja hat es verdient, zumindest in den Augen von Jimmy. Jimmy wird tot und nicht mehr da sein, aber durch den Leib von Max kann er noch immer Sonja lieben.

Kriminetz: War die Arbeit an diesem Roman ein Weg dahin, sich mit mehr Gelassenheit an Theo van Gogh, der im Roman die Rolle eines Schutzengels hat, zu erinnern? Sie haben ja schon Anlass dazu.

Leon de Winter: Es hat damit angefangen, dass ich eine Abrechnung schreiben wollte. Aber es ist eine Versöhnung geworden. Das war die Reise des Schreibens, beginnend fünf Jahre nach seinem Tod. Theo van Gogh ist 2004 auf offener Straße in Amsterdam enthauptet worden. Ich war siebzehn Jahre lang, von 1984 bis 2001, sein Favoritfeind. In den letzten drei Jahren seines Lebens hat er nicht mehr über mich geschrieben. Fünf Jahre nach seinem Tod, 2009, sah ich zufällig einen Film im Internet, ein Youtube-Filmchen, in dem er mich aufs Schlimmste beleidigt. Ich beschreibe diese Szene auch in meinem Buch. Ich war wütend darüber, aber wie ist man wütend auf jemand, der enthauptet worden ist? Das ist verwirrend. Ich war natürlich außer mir, aber er war nicht mehr da, ich konnte nichts mehr machen, ich war machtlos. Mein eigentliches Vorhaben war, einen Mainstream-Thriller zu schreiben. Aber diese verrückte Geschichte im Todesreich macht natürlich alles anders als in einem Mainstream-Thriller.
Schön, dass Sie von Kriminetz sind! Ich lese eigentlich nur Krimis, immer, das ist meine große Passion. Ich lese alle großen amerikanischen Krimi-Schriftsteller gerne. So etwas wollte ich auch schreiben, mit Geiselnahme und Attentat. Dann sah ich diesen Youtube-Film und wollte eine Abrechnung mit Theo van Gogh schreiben, aber es ging nicht. Ich musste ein anderes Buch schreiben. Während des Schreibens fand ich ihn immer sympathischer, obwohl er alle diese schrecklichen Dinge über mich gesagt hat. Ich hatte immer mehr Spaß mit ihm als Figur. Und am Ende ist es eigentlich eine Versöhnung geworden und keine Abrechnung.

Kriminetz: Gibt es ein funktionierendes Nebeneinander verschiedener Bevölkerungsgruppen oder verfolgt Integration letztendlich das Ziel der Assimilierung?

Leon de Winter: Das wird eines Tages natürlich passieren. Wir sind noch nicht angekommen, das dauert noch 500, vielleicht auch 1000 Jahre, bis wir uns aneinander so gewöhnt haben, dass eine völlige Assimilierung möglich ist.
Die Evolution hat uns so eingerichtet, dass wir in Gruppen mit höchstens fünfzig Individuen leben. Hier auf der Buchmesse gibt es 100.000 Menschen! Schauen Sie sich mal um hier auf der Buchmesse, was wir an Beherrschung aufbringen und wie diszipliniert wir sind, um in diesem Chaos funktionieren zu können. So viele andere Menschen, so viele andere Stämme!
Es ist noch nicht so lange her, da wären wir übereinander hergefallen und hätten uns aufgefressen. Rein biologisch gesehen sind wir alle Kannibalen. Hier frisst keiner den anderen! Das heißt Fortschritt, es gibt so etwas wie Zivilisation, wir kommen langsam weiter. Es gibt noch große ethnische Unterschiede, aber wir sind in einer Übergangsphase zu einer neuen Welt. Ich bin sehr neugierig auf diese Welt, weil ich glaube, es wird eine gute Welt sein.
Unsere Welt hier in Europa ist nicht schlecht. Noch nie zuvor in der Menschheitsgeschichte haben Menschen soviel Reichtum gehabt und leben solange schon in Frieden. Der Frieden in Europa, den wir jetzt erleben, ist einzigartig in der europäischen Geschichte. Noch nie ist es solange friedlich gewesen, ist das nicht ein Wunder? Dass wir das erfahren können, ist unglaublich, denn die menschliche Kondition ist Armut, Leiden, Hunger. Wir sind dabei, das zu überwinden. Ist das nicht gut?

Kriminetz: Sie sprechen hervorragend deutsch, schreiben Ihre Romane jedoch in Niederländisch. Welche Bedeutung hat die Sprache, mit der Sie aufgewachsen sind, für Sie?

Leon de Winter: Wenn ich schreibe, höre ich diese Stimme und ich bin nicht imstande, in einer anderen Sprache zu schreiben.
Meine Tochter ist zum Teil in Amerika aufgewachsen, ihre first language ist Englisch. Sie denkt auf Englisch, sie schreibt englisch. Ich hätte das auch gerne gemacht, denn dann hätte ich natürlich einen großen Markt. Ich liebe die niederländische Sprache, wir haben in unserer Sprache wunderbare Symbole und Ausdrücke für Wasser und Wind. Das kleine Land entlang des Meers - das ist unsere Sprache, darin spürt man immer den Kampf gegen das Wasser, denn das ist unser Feind. Das Wasser ist der große Feind der Niederländer, das greift in unsere Seele ein und fließt in unsere Sprache ein.

Kriminetz: Vielen Dank, Leon de Winter, für die Beantwortung der Fragen.

Die nächsten Termine der Lesungen aus „Ein gutes Herz“:

Tübingen: 18. November 2013, 20.00 Uhr
München: 19. November 2013, 20.00 Uhr
Salzburg: 20. November 2013, 20.00 Uhr
Wien: 22. November 2013, 14.00 bis 15.00 Uhr und 20.O Uhr
Zürich: 25. November 2013, 20.00 Uhr Zürich
Basel: 26. November 2013, 19.00 Uhr
Ravensburg: 27. November 2013, 20.00 Uhr

Leon de Winter bei Diogenes

Leon de Winter im Gespräch mit Kriminetz-Redakteurin Claudia Schmid. © Foto: Jürgen Schmid, Kriminetz
Ein interessanter Gesprächspartner: Leon de Winter am Verlagsstand von Diogenes bei der Frankfurter Buchmesse 2013. © Foto: Jürgen Schmid, Kriminetz