Sieben Fragen an Andreas Pflüger

Vielseitiger Autor: Andreas Pflüger. Bei Suhrkamp sind von ihm erschienen: »Operation Rubikon« und »Endgültig«. Foto © Jürgen Schmid, Kriminetz

Andreas Pflüger wurde 1957 in Thüringen geboren, wuchs im Saarland auf und lebt seit vielen Jahren in Berlin. Er ist einer der renommiertesten deutschen Drehbuchautoren, schreibt Hörspiele und fürs Theater. Zu seinen mehrfach ausgezeichneten Arbeiten zählen u.a. Der neunte Tag und Strajk, in der Regie von Volker Schlöndorff, sowie bis heute fünfundzwanzig Tatorte.

Ende 2004 erschien sein Politthriller Operation Rubikon im Herbig-Verlag, der 2016 bei Suhrkamp neu aufgelegt wurde. Der Thriller erzählt die Geschichte einer Unterwanderung der Bundesrepublik durch mächtige Kartelle. Ebenfalls bei Suhrkamp ist Endgültig erschienen mit Jenny Aaron als blinder Verhörspezialistin und Fallanalytikerin beim BKA. »Endgültig« stand 2016 auf der Shortlist des Crime Cologne Award.

Seit 2012 schreibt Andreas Pflüger gemeinsam mit Co-Autor Murmel Clausen den Tatort Weimar. Die zweite Episode »Der Irre Iwan« wurde für den Grimme-Preis nominiert.

Für Kriminetz beantwortete Andreas Pflüger sieben Fragen.

Kriminetz: Beim Lesen von »Operation Rubikon“, in dem der Kampf gegen ein machtgieriges Kartell beschrieben wird, graute es mir bei dem Gedanken, es könnte eventuell nicht alles erfunden sein?

Andreas Pflüger: Ich wünschte, ich könnte sagen, dass alles erfunden ist, aber vieles ist leider wahr. Es war ein großes Privileg, den früheren BKA-Präsidenten Hans-Ludwig Zachert als Fachberater für den Roman zu haben. Er hat mir mehrere Wochen seiner Zeit geschenkt. Ich weiß noch, wie ich am zweiten Abend in meinem Hotel die halbe Bar leergetrunken habe. Ich konnte damals nicht glauben, in welchem Land wir leben. Das Erschreckende ist: Das Buch ist noch immer topaktuell, obwohl es vor zwölf Jahren erstmals erschienen ist. Keine der Zahlen bzgl. der Umsätze, der Gewinne, der Investitionen des Organisierten Verbrechens müsste heute korrigiert werden. Und wenn, dann nach oben. Vielleicht ist es noch nicht so weit wie in Italien zum Beispiel, wo der Mafia ein ganzer Staat gehört. Das heißt aber nicht, dass diese Gefahr nicht auch bei uns existiert.

Kriminetz: Die Charakterzüge der Hauptfiguren sind ähnlich, es unterscheiden sich aber die Seiten, auf denen sie stehen. Gemeinsam ist allen der Wille zur Macht, starke Unterschiede gibt es im Lebensstil. Bedarf es auf beiden Seiten, der „guten“ wie der „bösen“, einer ähnlichen Persönlichkeitsstruktur der jeweiligen Alpha-Menschen?

Andreas Pflüger: Gibt es das: Gut und Böse? Für mich sind es keine Pole, die sich gegenüberstehen, sondern nur verschiedene Seiten von uns allen. Das tragen wir in uns. In meinen Arbeiten finden sich immer Protagonisten und Antagonisten, die sich in vielem sehr ähnlich sind und nur unterschiedliche Lebensentscheidungen getroffen haben. Das macht für mich den Reiz der Auseinandersetzung aus. Am Anfang von Operation Rubikon denkt BKA-Präsident Wolf: Du hast getötet, was du liebst, damit lebt, was du hasst. Im Grunde kämpft er die ganze Zeit gegen seine eigenen Dämonen. Das ist ein Kampf, den er nicht gewinnen kann.

Kriminetz: Die Hauptfiguren auf beiden Seiten zahlen für ihre Positionen einen hohen Preis, ihre Gefährdungsstufe ist extrem hoch. Sie müssen rund um die Uhr von Personenschützern bewacht werden und diesen, wenn es hart auf hart kommt, ihr Leben anvertrauen. Die „Sherpas“ sind immerzu dabei. Hatten Sie die Gelegenheit, Personenschützer beim Training zu begleiten?

Andreas Pflüger: Ich war bei Trainingseinheiten von Personenschützern und Männern aus der Abteilung für Organisierte Kriminalität des BKA dabei. Ich habe gelernt, dass es auch in der Realität Menschen mit physischen Fähigkeiten gibt, die unseren Verstand herausfordern. Für den BKA-Präsidenten, einen der bestgeschützten Männer der Bundesrepublik, ist das ein Segen. Diejenigen, die schlau sind, machen die »Sherpas« zu Familienmitgliedern, um Nähe zu schaffen. Wer will schon, dass die sich im Ernstfall ducken?

Kriminetz: Zitat aus »Operation Rubikon«: „Der Weltjahresumsatz im Drogengeschäft hatte die unvorstellbare Zahl von einer Billion Euro überschritten. Es war die größte Wachstumsbranche der Erde, das Wort Rezession existierte für die Bosse nicht.“ Die Drogenmafia muss sich doch über das Schengener Abkommen ziemlich gefreut haben?

Andreas Pflüger: Das war für die ein Sechser im Lotto. Dazu folgendes: Als ich mit der Recherche zu dem Roman begann, war ich innenpolitisch ein Linker, ein entschiedener Gegner von immer mehr Polizeibefugnissen. Das Wort vom Überwachungsstaat ging mir leicht von den Lippen. Das hat sich durch die Arbeit an dem Roman total geändert. Wenn man einmal solche Einblicke in die Mechanismen des Organisierten Verbrechens bekommt, hat man für alle Zeit seine Unschuld verloren.

Kriminetz: „Tuareg“, wie der Code-Name des BKA-Präsidenten im Roman lautet, hat seine Kindheit in Marokko verbracht. Ist das ein eigener Sehnsuchtsort?

Andreas Pflüger: Unbedingt. Ich bin in meinen Zwanzigern das erste Mal durch Marokko gereist und immer wieder dorthin zurückgekehrt. Marrakesch ist meine Lieblingsstadt, dort könnte ich sofort leben. Erst letztes Jahr war ich wieder mehrere Wochen dort, um für den Roman zu recherchieren, an dem ich gerade schreibe. Er spielt zur Hälfte in Marokko, das sagt alles.

Kriminetz: Christian Ulmen ist als Kriminalhauptkommissar im TATORT Weimar sehr literaturaffin und heißt auch noch Lessing. Sie schreiben gemeinsam mit Co-Autor Murmel Clausen die Drehbücher dafür. Was macht mehr Vergnügen – Drehbuch schreiben oder Romane?

Andreas Pflüger: Das kann man nicht vergleichen. Beides macht Vergnügen. Drehbücher schreibe ich schon seit Jahren nur noch mit Murmel Clausen zusammen, das ist also keine einsame Tätigkeit mehr; ich genieße das sehr. Im Übrigen glaube ich, dass ein Drehbuchautor im Prinzip nur für ein einziges Talent bezahlt wird: Um einen Film zu sehen muss er keine Kinokarte kaufen oder den Fernseher einschalten. Ein Drehbuchautor kann einen Film in seinem Kopf sehen. Darauf kommt es auch beim Schreiben von Romanen an. Ein guter Roman ist immer Kopfkino.

Kriminetz: Sie gründeten 1987 gemeinsam mit Stefan Warmuth die »Comédie Berlin«. Standen Sie auch selbst auf der Bühne?

Andreas Pflüger: Um Gotteswillen, nein. Ein einziges Mal habe ich in einem meiner Filme eine kleine Rolle übernommen. Ich fand’s furchtbar. Schon allein die endlose Warterei ist nervtötend. Ich mag eine Arbeit, bei der man sieht, dass es vorangeht.

Kriminetz: Vielen Dank, Andreas Pflüger, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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