Sieben Fragen an Anne Goldmann

Das Foto zeigt Anne Goldmann. Foto: Erich Leonhard

Die Schriftstellerin Anne Goldmann, geboren 1961, lebt und arbeitet in Wien. Als Sozialarbeiterin hat sie einige Jahre in einer Justizanstalt gearbeitet, zurzeit betreut sie Straffällige in der Zeit nach der Haft. Früh schon gewann sie zwei Literaturwettbewerbe, aber erst vor wenigen Jahren begann sie wieder mit dem Schreiben. Im Jahr 2011 erschien ihr Romandebüt Das Leben ist schmutzig. Der im darauf folgenden Jahr veröffentlichte Roman Triangel wurde für den Leo Perutz-Preis der Stadt Wien für Kriminalliteratur nominiert und stand im selben Jahr auf der KrimiZEIT-Bestenliste. Im April 2014 erschien mit Lichtschacht ihr dritter Roman, wie die Vorgänger im Argument Verlag.

Für Kriminetz hat Anne Goldmann sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: Die Hauptfiguren Ihres Romans scheint ein Kokon aus Einsamkeit und erlittenen Verletzungen zu umhüllen. Und dennoch sind sie getrieben von der Sehnsucht nach Nähe, die sie doch nicht ertragen könnten. Ist das der Preis, den der moderne Großstadtmensch für die Urbanität entrichtet?

Anne Goldmann: Sie sind jung, die Welt steht ihnen offen, sie haben alle Möglichkeiten, ungeachtet ihrer Herkunft und ihres familiären Hintergrunds. Sie fliegen wie Steffi einfach für ein paar Monate nach Australien, suchen wie Georg den Thrill in Abenteuersportarten. Wechseln wie Lena die Stadt, die Jobs, die Wohnungen. Sie bleiben nicht lange allein, verlieben sich, machen Party …
Aber Sie haben natürlich recht: Tatsächlich taumeln sie alle von einer Situation, von einer Gelegenheit zur nächsten - voller Sehnsüchte, voller Wünsche - und sind erschrocken, wenn sich einer plötzlich erfüllt und ein „Ja“ oder „Nein“ von ihnen verlangt.
Die Frage ist also: Warum leben Lena und ihre neuen Bekannten so, was ist der Gewinn aus dieser Situation? Nun, sie können vage bleiben, unverbindlich, müssen keine Entscheidungen treffen, nicht erwachsen werden. Und die Verletzungsgefahr hält sich in Grenzen.
Ich glaube ja, dass wir uns mit unseren Bildern vom Glück, und davon, was zu tun ist,
damit es zu uns kommt, immer wieder selber ein Bein stellen. Für den einen ist es eine seltsam abstrakt bleibende Freiheit oder viel Geld, das alles wenden soll. Für die andere die große Liebe, die Halt verspricht, wo die eigene Sicherheit fehlt. Das kann aber nicht gut gehen.
Lena kommt durch ein Ereignis von außen, den Mord, den sie wahrgenommen haben will, in eine Ausnahmesituation, die sie zwingt, sich der Frage zu stellen, was ihr wirklich entspricht. Was sie braucht, was ihr wohl tut. Worauf – und auf wen – sie sich verlassen kann. Und zuletzt: Die Entscheidung zu treffen, wie sie leben will.

Kriminetz: Im Verlauf der Handlung sind Menschen, die sich alle Wünsche, die sich mit Geld realisieren lassen, erfüllen können, schnell vom Überdruss, auch dem an menschlichen Beziehungen, befallen. Verdirbt Geld nachhaltig den Charakter?

Anne Goldmann: Von Lottogewinnern weiß man, dass die Freude über das viele Geld relativ rasch verblasst. Man gewöhnt sich an die neue Situation, den geänderten Lebensstil, den Überfluss, begreift vielleicht nach und nach, dass man das, worauf es im Leben ankommt, nicht kaufen kann. Ich kann mir auch vorstellen, dass man misstrauisch wird: Ist mein Gegenüber wirklich an mir interessiert – oder nur an meinem Geld?
Ich glaube nicht, dass Geld den Charakter verdirbt. Es wirkt aber wie ein Vergrößerungsglas, eine Lupe: Plötzlich treten bestimmte Charakterzüge, Schwächen, Unzulänglichkeiten einer Person deutlich zutage.
Wenn jemand, der sich immer geduckt hat, plötzlich Geld besitzt (und damit Macht), kann er seine Phantasien ausleben, sich rächen, es „allen zeigen“, ihnen die tatsächlich oder vorgeblich erlittene Zurücksetzungen und Ungerechtigkeiten „zurückzahlen.“ In Erbschaftsstreitigkeiten werden Menschen nicht selten zu erbitterten Feinden, die einander vor Gericht zerren, sich über Jahre hinweg bekriegen. Familien zerbrechen über dem Kampf um das Erbe. Natürlich ist hier die Sache komplizierter, wird über das Geld, das Vermögen des Toten viel mehr abgehandelt, aber es zeigt sich doch, wie weit ein Mensch zu gehen bereit ist, wenn Geld im Spiel ist.
In „Lichtschacht“ ist Lena mit einem Mann konfrontiert, der starke psychopathische Züge aufweist. Gewissensbisse sind ihm fremd, er hat keine Skrupel, sich zu nehmen, was er will. Raffiniert und kalt manipuliert er sein Gegenüber, spürt dessen Schwächen und Sehnsüchte auf und nützt sie für seine Zwecke, kann dabei aber seine Impulse nur schwer unter Kontrolle halten. Hier trifft Rotkäppchen auf den bösen Wolf.

Kriminetz: Wieso fallen Ihrer Meinung nach Frauen auf Psychopathen herein? Ist es so verlockend, „wie irre“ geliebt zu werden?

Anne Goldmann: Tatsächlich ist das Gefühl heftiger Verliebtheit ein außergewöhnlicher, ein „verrückter“ Zustand, der einer leichten Manie gleicht. Man fühlt sich unglaublich lebendig, projiziert seine Sehnsüchte auf den anderen und wünscht sich nichts sehnlicher, als in seiner Nähe zu sein, wiedergeliebt zu werden. Sogenannte „Psychopathen“ sind Meister der Manipulation. Sie spüren, was das Gegenüber vermisst, sich erträumt, ersehnt – und bieten ihm genau das.

Kriminetz: Gab es eine tatsächliche Schreibpause bei Ihnen oder sind Sie mit Ihren Texten zwischendurch nicht an die Öffentlichkeit gegangen?

Anne Goldmann: Die Arbeit an einem neuen Roman beginnt ja lange, bevor ich den ersten Satz schreibe. Ich sammle ständig Eindrücke, Ideen, kleine Sequenzen aus dem Alltag, Nebensächlichkeiten … mache mir Notizen. Und plötzlich ist eine Idee da, die mich packt. Ich fange an zu recherchieren. Wenn der Plot steht, wende ich mich den Protagonisten zu. Ich verwende sehr viel Zeit und Sorgfalt darauf, die einzelnen Charaktere zu zeichnen. Ich muss alles über sie wissen, auch wenn ich nur einen Bruchteil davon verwenden werde, muss sie spüren, riechen, den Wunsch habe, sie in den Arm zu nehmen, wenn sie Trost brauchen und sie davon abzuhalten, Dummheiten zu machen. Erst dann schicke ich sie los … Diese Phase finde ich so spannend wie das Schreiben selbst. Alles in allem etwa sitze ich etwa eineinhalb Jahre über einem Roman. Manchmal auch länger.
Ich schreibe meistens nachts, an den Wochenenden. Es ist manchmal nicht ganz einfach, meine beiden Berufe, die ich gleichermaßen liebe, unter einen Hut zu bringen. Ich arbeite ja mit Menschen, die in schwierigen Lebenssituationen stehen, verletzt sind, anfangs misstrauisch, ängstlich, ablehnend, begleite sie – wenn der Kontakt geglückt ist, sie angedockt haben - durch Krisen, Umbruchsphasen, glückliche und schwere Zeiten - oft über mehrere Jahre. Es ist eine sehr schöne, intensive Arbeit, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordert. Wenn ich schreibe, brauche ich Abstand zum Tag. Ich muss frei sein für die Geschichte, an der ich arbeite. Es ist purer Luxus für mich, dass mich niemand drängt und ich die Arbeit an einem Buch genießen kann.

Kriminetz:Der Kosmos in einem Wiener Mietshaus scheint ein Kaleidoskop der Gesellschaft zu sein. Unten, in den lichtarmen Räumen sind die Mieten erschwinglich, in den hellen oberen Etagen, die womöglich auch noch eine größere Zimmerhöhe haben und der Blick freier wird, ist es teuer. Ganz zu schweigen vom über den Hof erreichbaren Hinterhaus oder nicht zugänglichen Lichtschächten, in denen wer weiß was vor sich hin gammelt. Werden die Häuser heute umstrukturiert oder bleiben sie in ihrer Nutzung über die Generationen hinweg unverändert?

Anne Goldmann: Durch die Gentrifizierung einzelner Stadtteile, die in Wien freilich etwas sanfter als andernorts vonstatten geht, wachsen zahlreiche Dachausbauten aus alten Gründerzeithäusern. Die Mieten steigen, die Bewohnerschaft verändert sich. In Althäusern, deren Sanierung von der öffentlichen Hand gefördert wird, kommen immerhin auch die Altmieter immer wieder in den Genuss hochwertiger und dennoch leistbarer Wohnungen. Meiner Erfahrung nach (ich lebe seit dreißig Jahren in derselben Gegend, die vor einigen Jahren plötzlich „entdeckt“ wurde und mittlerweile „hip“ ist) berühren einander die Welten der Alteingesessenen und Neuzugezogenen kaum, so sehr man sich guter Nachbarschaft rühmt. Wenn man genau hinsieht, erkennt man freilich immer noch Reste des „Dorfes“, in das ich seinerzeit gezogen bin und von dem Sie einiges meinem ersten Buch „Das Leben ist schmutzig“ wieder finden.

Kriminetz: Sie müssen Hitchcock lieben! „Lichtschacht“ liest sich wie eine Hommage an den großen Meister?

Anne Goldmann: Ich muss gestehen (das werden Sie mir jetzt wahrscheinlich nicht glauben?), dass ich, als ich mit dem Schreiben begonnen habe, tatsächlich nicht an Hitchcock gedacht habe. Ich war einfach fasziniert von einer kleinen Szene, die ich, am Fenster meiner Wohnung stehend, beobachtet habe: Ein kühler Frühsommerabend. Auf einem nahegelegenen Dach sitzen drei Leute. Sie trinken, lachen, wirken ausgelassen und unbeschwert …
Natürlich ist niemand in den Abgrund gestürzt, aber ich habe sofort mit der Idee gespielt, was wäre, wenn … und wie die Geschichte weitergehen könnte. Es war schnell klar, dass die Zeugin des Vorfalls in einer Ausnahmesituation sein muss, dass es Gründe gibt, warum sie nicht sofort die Polizei verständigt, Freunde anruft, um darüber zu reden, Unterstützung zu holen, sondern selber „ermittelt“.
Aber, ja - ich liebe diesen speziellen Blick auf die Welt. Ich liebe Kino, spiele selber gern mit Bildern. Ich misstraue dem Offensichtlichen, den Idyllen … und schreibe also Geschichten, wie ich sie selber gerne lese. Oder sehe.

Kriminetz: Am Ende des Romans befindet sich ein Glossar für einige Wiener Ausdrücke. Mein persönliches Lieblingswort ist „Stiegenhaus“. Haben Sie für dieses Anfügen der „Übersetzungen“ plädiert?

Anne Goldmann: Mein Verlag (Argument/Ariadne) sitzt in Hamburg, ich in Wien. Ich gestehe, beim ersten Buch, das ja auch in Wien spielt und viele „Eigenheiten“, wenn Sie so wollen, aufwies, bestimmte Formulierungen „braucht“, die anderswo als sprachliche Schnitzer wahrgenommen oder schlichtweg nicht verstanden werden, hatte ich Herzklopfen, ob wir das hinkriegen: den Unterschiedlichkeiten in der Sprache ohne Verrenkungen auf der einen oder anderen Seite gerecht zu werden. Meine Verlegerin Else Laudan und die Lektorin Iris Konopik waren großartig – und es hat also wunderbar geklappt.
Ja, die Anregung, Lichtschacht ein Glossar beizufügen, kam von mir. Umgesetzt (Auswahl und Übersetzung) hat es mein Verlag, während ich entspannt in den Urlaub gefahren bin.

Vielen Dank, Anne Goldmann, für die Beantwortung der Fragen.

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