Sieben Fragen an Heinrich Steinfest

Das Foto zeigt den Schriftsteller Heinrich Steinfest. Foto: © Burkhard Riegels.

Heinrich Steinfest wurde 1961 im australischen Albury geboren. Aufgewachsen ist der preisgekrönte Autor, welcher den einarmigen Detektiv Cheng erfand, in Wien. Er wurde mehrfach mit dem Deutschen Krimi Preis ausgezeichnet, erhielt 2010 den Stuttgarter Krimipreis und den Heimito-von-Doderer-Literaturpreis. Bereits zweimal wurde Heinrich Steinfest für den Deutschen Buchpreis nominiert: 2006 mit »Ein dickes Fell«; 2014 stand er mit »Der Allesforscher« auf der Shortlist. 2016 erhielt er den Bayerischen Buchpreis für »Das Leben und Sterben der Flugzeuge«, 2018 wurde »Die Büglerin« für den Österreichischen Buchpreis nominiert, zuletzt erschien von ihm bei Piper »Der schlaflose Cheng«, der für den Crime Cologne Award 2019 nominiert ist.

Der Autor lebt heute hauptsächlich in Stuttgart. Mit seiner Lesung aus »Die Büglerin« wurden 2018 die Heidelberger Literaturtage eröffnet.

Für Kriminetz beantwortete Heinrich Steinfest sieben Fragen.

Kriminetz: »Der schlaflose Cheng« ist bereits der fünfte Roman um Markus Cheng. Wie kam der einarmige Cheng zu dir? Hat er eines Tages bei dir angeklopft?

Heinrich Steinfest: Ich bin mir da nie so sicher, ob meine Figuren anklopfen oder ich mir das nur einbilde, und ich es eher selbst bin, der da anklopft. Weil mich halt etwas antreibt bezüglich der Figur, eine Unsicherheit, eine Frage, auch eine Sentimentalität. Bei Cheng, der mich schon ein Leben lang begleitet, war es sicher die Frage, wie er sich verändert hat in den letzten neun Jahren. Er ist ja ein Jahr nach mir geboren, also 1962, und in den Jahren seit dem letzten Roman (Batmans Schönheit, 2010) auch nicht unbedingt jünger geworden. Und das ist durchaus ein Thema des Buchs, das Altern, vor allem die Vergeßlichkeit, der Nebel, in dem manches Vergangene steckt, aber auch jene Eleganz, die Cheng, der einarmige Detektiv, noch immer an den Tag legt.

Ein Grund für das Buch war aber sicher auch, daß ich den letzten Jahren bei Lesungen immer wieder auf den Herrn Cheng angesprochen wurde, und ebenso - skurril genug - auf seinen Hund Lauscher, der ja bereits im dritten Roman (Ein dickes Fell, 2006) verstorben war. Aber klar, die Leute sagen, ein Autor muß das hinkriegen, einen toten Hund auferstehen zu lassen. Und auf eine gewisse Weise hab ich dem Wunsch auch nachgegeben Der Hund ist wieder da, in einer geisterhaften Gestalt, und darf sogar das Cover schmücken.

Kriminetz: Cheng hat ein neues Büro in der Taubstummengasse. Gibt es dafür eine Vorlage?

Heinrich Steinfest: Die Taubstummengasse liegt im vierten Wiener Gemeindebezirk, hinter der Karlskirche. Meine Großmutter hatte dort bis in die 1970er-Jahre ein Wirtshaus, in dem auch meine Mutter gearbeitet hat. Ich habe Teile meiner Kindheit an diesem Ort, in dieser Gasse verbracht, die bei aller Kürze Gebäude der Post, der Polizei und einige Geschäfte beherbergt. Es ist also eine Referenz an diese von Schönem wie Schrecklichem geprägte Kinderzeit, wenn ich jetzt Herrn Cheng dort einquartiere. In einem durchaus herrschaftlichen Haus, in dem er sein Büro hat und in dessen Vorraum seine Sekretärin sitzt, eine gewisse Frau Wolf. Er weiß, was er an ihr hat. Und ich hoffe, die Leser auch. Ich denke, Frau Wolf ist so eine Figur, die in der Zukunft auch mal bei mir anklopfen wird. Oder ich bei ihr. Höchstwahrscheinlich wieder in der Taubstummengasse.

Kriminetz: Hast du selbst einen Bezug zur Kampfkunst?

Heinrich Steinfest: Mit dem Bubishi, einem mysteriösen Buch über eine alte chinesische Kampfkunst, in dem auch die Technik der „vergifteten Hand“ behandelt wird – ein Buch, das als die „Bibel des Karate“ gilt –, habe ich mich erst anläßlich der Niederschrift des „schlaflosen Cheng“ zu beschäftigen begonnen. Allerdings war ich in meiner Jugend Judoka. Meine Mutter hatte mich nur darum zum Training geschickt, weil ich so schrecklich dünn war und sie wohl hoffte, Judo würde mich kräftigen. Ich bin dann sogar recht erfolgreich geworden, also weniger beim Nicht-mehr-dünn-Sein, sondern im Wettkampf. Das ist lange her. Zwischenzeitlich bin ich in der Zeitlupe angekommen, also beim Tai Chi. Und ein Leichtgewicht bin ich auch nicht mehr.

Kriminetz: Behandelst du Genre-Grenzen lieber fließend, etwa zwischen Kriminalroman und Science-Fiction?

Heinrich Steinfest: Mal stärker, mal schwächer. Im „schlaflosen Cheng“ kommt die Science-Fiction und der Abenteuerroman praktisch durch die Figuren selbst ins Spiel, durch ihre Begeisterung für Jules Verne, Robert Louis Stevenson und Mary Shelleys Frankenstein. Und es existiert ein ominöses, scheinbar nur in drei Exemplaren aufgelegtes Kochbuch, in dem Pilzrezepte einer außerirdischen Spezies namens Mi-go beschrieben werden. Das ist eine Hommage an H. P. Lovecraft, der als erster Autor die Mi-go erwähnt hat (in Der Flüsterer im Dunkeln, das 1930 erschien).

In der Tat arbeite ich gerne mit Elementen verschiedener Genres, wie ich ja auch beim Begriff des Kriminalromans jenen Teil sehr ernst nehme, der da „Roman“ heißt. Das bedeutet, mein Anspruch beim Verfassen eines Kriminalromans ist derselbe wie beim Schreiben eines … ja, jeder anderen Art von Roman, nämlich die Welt einzufangen. Wozu durchaus auch die phantastischen Elemente gehören. Man könnte natürlich auch einfach – wie das der Kritiker Denis Scheck tut, dem ich im „schlaflosen Cheng“ eine kleine Miniatur gewidmet habe – sagen, daß ich Steinfest-Romane schreibe.

Kriminetz: Du bist nicht nur als Schriftsteller, sondern auch bildnerisch künstlerisch tätig. Wie verbindest du beides?

Heinrich Steinfest: Ich male nicht mehr sehr viel, das Schreiben hält mich zu sehr in seinen Fängen. Aber ich denke, daß doch viele Stellen in meinen Texten etwas Gemaltes besitzen, gerade dort, wo es um detaillierte Beschreibungen von Personen und Orten geht. Denn durch die Genauigkeit dieser Beschreibung wird Realität erzeugt. Was für mich der entscheidende Punkt ist. Gleich, ob eine Situation besonders gewöhnlich oder besonders ungewöhnlich ist, alltäglich oder absurd, der Leser soll sie als wirklich erleben. Auch das Irreale als glaubwürdig empfinden. Und man kann ja wohl nicht sagen, die wirkliche Welt habe nichts Irreales.

Kriminetz: Das Bahn-Projekt »Stuttgart 21« ist heftig umstritten. Wie ist deine Position dazu?

Heinrich Steinfest: Ich mach die Augen zu, wenn ich an der Großbaustelle vorbeigehe, dieser leibhaftig werdenden Ausnahmeregelung. Man muß sich nicht alles anschauen. Außerdem bin ich ein schlechter Verlierer. Gleichzeitig, und das ist fatal, bin ich ein passionierter Bahnfahrer. Ich verfüge nicht mal über einen Führerschein und in Flugzeuge steige ich höchst ungerne. Somit bin ich an das Reisen mit dem Zug gebunden, die beste Art der Fortbewegung nach dem Spaziergang, somit aber auch gebunden an ein Gruselkabinett namens Deutsche Bahn, die am Gängelband der deutschen Automobilindustrie hängt.

Kriminetz: Du hast 2018 mit deiner Lesung aus »Die Büglerin« die Heidelberger Literaturtage eröffnet. Hast du einen speziellen Bezug zu der Stadt?

Heinrich Steinfest: Der Zufall privater Verwicklung bringt mich immer wieder nach Heidelberg, das für mich zu den schönsten, angenehmsten und erfreulichsten Orten gehört, die ich kenne. Ich weiß schon, ich höre mich an, als arbeite ich ehrenamtlich für die Heidelbergwerbung. Aber was soll man tun? Wo die Liebe hinfällt, fällt sie hin.

Kriminetz: Vielen Dank, Heinrich Steinfest, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Heinrich Steinfest eröffnete mit einer Lesung aus »Die Büglerin« die Heidelberger Literaturtage 2018. Neben ihm die Moderatorin Claudia Kramatschek. Foto © Claudia Schmid, Kriminetz