Sieben Fragen an Jens J. Kramer

Schriftsteller Jens J. Kramer ist gemeinsam mit seiner Ehefrau Nina George auch als Jean Bagnol unterwegs. Foto: © Maurice Kohl

Der Schriftsteller Jens J. Kramer wurde 1957 in Cuxhaven geboren. Er studierte Ethnologie und Islamwissenschaften in Berlin. Bevor er zu schreiben begann, verdiente er sein Geld in Berlin als Messerhändler, in der Steiermark als Steinmetz, verkaufte Autos nach Marokko und lebte einige Jahre in der Bretagne, um sich als Pilot ausbilden zu lassen.

Jens J. Kramer veröffentlichte bisher zehn Romane unter vier verschiedenen Namen, zuletzt: Commisaire Mazan und die Spur des Korsen (3.4.2017, unter Jean Bagnol). Zuvor hat er drei historische Romane geschrieben und unter seinem ersten Pseudonym Jo Kramer mehrfach nominierte romantische Komödien („Der Mann danach“, „Der Neurosenkavalier“). Unter einem geheimen Pseudonym verfasst er urkomische, norddeutsche Provinzkrimis – und als JEAN BAGNOL schreibt er Provence-Thriller zusammen mit seiner Frau, der Bestsellerautorin Nina George („Das Lavendelzimmer“).

Jens J. Kramer ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland, im AIEP/IACW (Internationale Vereinigung der Kriminalschriftsteller) sowie im VS (Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller). Er betreut u.a. die Sektion „VG Wort“ auf der Informationsseite für Autorinnen und Autoren, www.fairerbuchmarkt.de und ist Gründungsmitglied der verbandsübergreifenden Gemeinschaft „Netzwerk Autorenrechte“ (Siehe netzwerk-autorenrechte.de). Seit Mai 2017 ist er Mitglied des Sprecherates im Das Syndikat

Jens J. Kramer lebt in Berlin und der Bretagne.

Für Kriminetz beantwortete Jens J. Kramer sieben Fragen.


Kriminetz: Du setzt dich neben deiner schriftstellerischen Tätigkeit für die Rechte von Autorinnen und Autoren ein. Siehst du das auch als eine deiner Aufgaben als Sprecher des Syndikats?

Jens J. Kramer: Absolut. Die Rechte der Autoren sind in einem Maße bedroht, wie wir es bisher nicht kannten. Zwar gab es schon immer Schwierigkeiten mit den Verlagen, die in der stärkeren Position waren und auch gerne ihre Muskeln spielen ließen. Letztlich aber waren wir Partner in dem Bemühen, gute Bücher zu machen. Heute hat sich die Sitiuation dramatisch verschärft.

Die großen Intermediäre des Internets, Google, Amazon, Apple, haben die eingespielten Mechanismen durchbrochen. Jetzt sind wir Autoren zu Content-Liferanten geworden, die immer mehr Flatrates und Billigangebote mit immer mehr Inhalt füllen sollen. Und die Verlage sind „die Rehe, die es zu jagen gilt“ (ein Jeff Bezos zugesprochenes Zitat).

Nicht mehr die Autoren, die die kreative Arbeit leisten, und auch nicht die Verlage, die diese Arbeit im besten Fall veredeln, kassieren den Gewinn. Sondern die, die Weichen des Internets bedienen. Eine Werteverschiebung auf Kosten von Qualität und künstlerischer Freiheit. Dieser Prozess findet auf internationaler Ebene statt, und nur politischer Druck kann dem etwas entgegensetzen. Das Syndikat hat mit zehn anderen Autorenverbänden das Netzwerk Autorenrechte, NAR, gegründet, um den Autoren eine Stimme in der Politik zu geben. Unsere Waffe ist das Wort.

Ich wurde in den Sprecherrat gewählt, um diese Aufgabe wahrzunehmen.


Kriminetz: Dein Rat an jemand, der Krimis schreibt, und noch nicht im Syndikat ist?

Jens J. Kramer: Eintreten! Der Grund: Kontakte knüpfen, Austausch, Netzwerkpflege. In vielen Dingen helfen wir uns gegenseitig aus. Zum Beispiel wenn es um Verträge geht. Wir haben eine Art „Giftliste“, d.h welche Formulierungen auf keinen Fall in einem Vertrag stehen dürfen. Oder die Lesungshonorare. Gerade angehende Autoren werden oft damit gelockt, dass das doch „Werbung“ sei. Auch hier kann das Syndikat beraten und unterstützen.

Vor allem auf den jährlichen „Criminalen“ können Kontakte und Informationen über Agenturen und Verlage ausgetauscht werden. Teilweise sind die auch vor Ort, weil sie als sogenannte Amigos - nicht ganz vollwertige - Mitglieder sind. Auf den Criminalen gibt es Vorträge von Polizeibeamten, Rechtsmedizinern oder Chemikern, die über die einzelnen Gifte referieren. Überhaupt kann man sich sehr schön über Mordarten informieren. Es gibt auch immer wieder Anfragen, sich an Anthologien zu beteiligen. Das Wichtigste aber ist, es macht Spaß!

Denjenigen, die die 110,- € Jahresbeitrag nicht aufbringen können, rate ich, sich wenigstens auf der Homepage des Syndikats über Aktuelles aus der Krimiszene zu informieren. Und überhaupt aus der Vereinzellung herauszukommen. Das Montségur-Forum, die Federwelt, Fairer Buchmarkt, das sind alles Internetseiten, auf denen wichtige Fragen des Autorenlebens erörtert werden. Für mich war es damals eine Offenbarung, als aus meinem Suppentopf, in dem ich mir meine Gedanken und Geschichten zurechtkochte, herauskam und den Kontakt mit anderen Autoren fand.


Kriminetz: Du hast einen Roman über die Afrika-Forscherin Mary Kingsley verfasst. Was hat dich an dieser Frau am meisten fasziniert?

Jens J. Kramer: 1895, Westafrika! Dort galt wie im Wilden Westen das Gesetz des Stärkeren, und der war meist weiß. Eine Menge Abenteurer zog es dorthin, auf der Jagd nach Reichtum und Ruhm. Eines Tages tauchte eine Frau an der Küste auf, allein, um im Auftrag der Royal Geographic Soc. Süßwasserfische zu erforschen!

Bewaffnet mit einem Revolver und Hutnadeln, neugierig und unternehmungslustig, frech und willensstark ist sie im englischen Rock durch Urwälder gewandert und über Flüsse gereist. Sie hat bei den Eingeborenen gelebt, ihr Lieblingsstamm waren die Fang im heutigen Kongo. Die verputzten zwar ab und zu Menschen – da lag schon mal eine Hand rum, die von der letzten Mahlzeit übrig geblieben war –, aber Mary betrachtete sich als Forscherin. Sie urteilte nicht, sie beobachtete. Ihre zwei Bücher, die sie nach ihren Reisen veröffentlichte, gehören mit denen von Heinrich Barth und Richard Burton zum Besten, was es als ethnologische Quellen dieser Zeit und aus dieser Gegend gibt.

Sie hat von den Farbschattierungen der Lehmufer erzählt, den Gesängen der Frauen, den Nächten im Freien. Sie hat angreifende Nilpferde mit Töpfen beworfen und Leoparden durch Schreien vertrieben. Sie ist andauernd ins Wasser gefallen, hat mit dem deutschen Gouverneur Jesco von Puttkamer auf seiner Jacht diniert und sie hat jeden, der meinte, auf sie aufpassen zu müssen, in den schieren Wahnsinn getrieben. Zudem hat sie ihre Bücher mit feinem englischen Humor gewürzt.

Ich bin ihren Spuren gefolgt, auf die Flüsse, in die Wälder und auf den Mount Kamerun, den sie als erste weiße Frau nur mit indigenen Führern bestieg. Und ich muss gestehen, was diese Frau sich damals traute, habe ich nicht einmal in der Jetztzeit gewagt. Ich MUSSTE über sie schreiben.
Übrigens: Süßwasserfische hat sie auch noch gesammelt.


Kriminetz: Gemeinsam mit deiner wunderbaren Ehefrau Nina George schreibst du unter dem Pseudonym Jean Bagnol sehr erfolgreich. Wie darf man sich das vorstellen, wenn ihr gemeinsam schreibt? Geht es da sehr temperamentvoll zu?

Jens J. Kramer: Und wie! Wir sind zwei Individualisten, die es gewohnt sind, dass zumindest in den Büchern alles nach unserem Willen läuft. Das geht in der Zusammenarbeit natürlich nicht. So ringen wir um Inhalte, Charaktere und Plotting. Da wir zudem noch ein Paar sind, kann es schon mal persönlich werden „Wenn du mich liebst, dann …“

Wir haben festgestellt, dass ein paar Regeln hilfreich sind:
1. Die Hoheiten: Jeder von uns übernimmt bestimmte Charaktere in den Büchern. Natürlich tauchen die auch im Text des anderen auf. Aber er kann nicht mit ihnen machen, was er will. Wenn ich z. B. Ninas Hauptfigur verwende und sie im Autoradio Steely Dan hören lasse, grätscht sie mir sofort dazwischen. Zadira hört selbstverständlich die Bee Gees. Okay, ist ihre Hoheit.
Oder ich mit den Katzen. Die laufen natürlich auch in Ninas Kapiteln rum, aber ich bestimme, wie sie sich benehmen.

2. Keiner verlässt den Raum. Wenn es Konflikte gibt, müssen die ausgetragen werden. Beleidigtes Wegrennen gibt es nicht.

3. Pro Band darf nur einmal ein Glas an die Wand fliegen.

Davon abgesehen, müssen wir unglaublich viel reden. Schon vorher durchdenken wir den Plot in seiner ganzen Tiefe. Charaktere werden in einem Maße ausgezeichnet, wie wir es nie verwenden. Aber wir müssen es wissen. Trotzdem tauchen natürlich immer wieder neue Probleme auf. Manches funktioniert nicht, manches kommt neu hinzu. Das alles muss besprochen werden. Wir müssen wissen, was im Kopf des anderen los ist. Eine Kollegin, der wir davon erzählten, sagte: Das ist wie im Kopf des anderen spazierengehen.

Am Ende gilt immer die vierte und wichtigste Regel: Es muss der Geschichte dienen!


Kriminetz: Wo lernt ein Schriftstellerpaar sich kennen? Bei einer Lesung? Oder beim Einkaufen an der Kuchentheke und man stellt fest, denselben Beruf zu haben?

Jens J. Kramer: In unserem Fall beim Tai Chi. Sozusagen in Turnhosen. Irgendwann kam die Frage: Und was machst Du so? Wir haben dann festgestellt, dass wir beinah zeitgleich unseren ersten Roman herausgebracht hatten. Nina hatte zu dem Zeitpunkt allerdings schon ein Dutzend Sachbücher unter Pseudonym veröffentlicht. Wir haben uns mit dem Kennenlernen dann Zeit gelassen, aber letztlich waren wir ein dreiviertel Jahr nach unserer ersten Begegnung verheiratet.


Kriminetz: Wobei hattet ihr die Idee zu eurer gemeinsamen Erfolgsreihe „Commissaire Mazan“?

Jens J. Kramer: Wir waren in der Provence auf Recherchereise für Ninas Lavendelzimmer. Wir hatten nichts vorgebucht oder auch nur geplant, sind aufs Geratewohl rumgefahren. Schon an unserem ersten Abend hatten wir Schwierigkeiten, eine schöne Unterkunft zu finden. Wir wollten diesen ersten Abend nicht in einem beliebigen Hotel verbringen, sondern etwas Besonderes daraus machen. Als wir schon ziemlich verzweifelt waren, fanden wir in dem kleinen Örtchen Mazan ein Bilderbuchhotel, das Chateau de Mazan!

Es hatte alles, was wir uns gewünscht hatten, diesen lässigen, leicht patinierten Charme alter Häuser, schöne Zimmer, ein edles Ambiente, eine tolle Küche und eine große Terrasse, von der aus wir über die weite Landschaft schauen konnten. Dort haben wir unseren Apéritif genommen und sind richtig angekommen.

Während wir auf unser Essen warteten, beobachteten wir einen schwarzen Kater, der sich zwischen den Tischen heranschlich und – als der Kellner nicht aufpasste – von der Anrichte blitzschnell eine Portion Thunfischpastete klaute.

Wir haben sofort angefangen, uns eine Geschichte mit diesem Kater auszudenken. Er sollte Pastete heißen und zusammen mit dem Koch in einem Mordfall ermitteln. Dann erfuhren wir, dass das Hotel, in dem wir schliefen, vor langer Zeit einmal dem Marquis de Sade gehörte. Jetzt nahm die Geschichte einen völlig anderen Dreh.

Es sollte noch zwei Monate dauern, schließlich hatte Nina ja einen Recherchejob zu erledigen. Aber dann präsentierten wir unserem Verleger den Plot unseres Commissaire Mazan, der es mit den undurchsichtigen Erben des Marquis zu tun bekam.


Kriminetz: Du lebst in Berlin und in der Bretagne. Verrätst du uns einen Ort in der Bretagne, den man unbedingt gesehen haben muss?

Jens J. Kramer: Auf keinen Fall der, an dem wir wohnen. Da ist es total hässlich und ätzend.

Im Ernst: Die Bretagne, das ist zunächst einmal jede Menge Küste. Was man aber wissen muss: es ist nicht so lieblich wie der Süden, das Mittelmeer. Und es gibt auch keine Schönwettergarantie. Dafür gibt es Wind und Felsen, geschwungene Buchten und schroffe Klippen. Es gibt einen Himmel, den man manchmal meint anfassen zu können. Es gibt Austern und Muscheln, Pasteten und Gallettes. Die Menschen sind zurückhaltend, aber immer höflich und freundlich. Vor allem aber gibt es das Meer, dieses wilde, schöne, verführerische, unruhige Meer. Irgendetwas macht es mit einem.

Die Küsten sind unterschiedlich. Der Norden, beginnend beim Mt. St. Michel ist ein wenig rauer. Dann der zerklüftete Westen an der mer d’iroise mit seinen Fjorden. Dort ist das Meer besonders wild. Die Bilder von umtosten Leuchttürmen haben bestimmt alle schon gesehen. Dann, nach der Halbinsel Crozon wird es zum Süden hin etwas ruhiger. Am Golf von Morbihan endet die Rundreise. Hier wachsen Palmen und die Häuser sind weiß. Der Golf ist von unzähligen Inseln getupft. Ihre Größte ist auch die Schönste. Die Legende sagt, dass einst die Feen in der Bretagne herrschten. Dann kamen die Menschen, schlugen die Wälder und zerstörten ihr Reich. Die Feen beschlossen, das Land zu verlassen. Sie verwandelten sich in Inseln, und die Feenkönigen wurde zu Belle Ile.

Überhaupt die Legenden: Sie wachsen aus dem felsigen Grund wie die Steine von Carnac. Wer wachsam ist, kann ihn spüren, den Anfang der Welt. Denn das ist er für die Bretonen, nicht das Ende. Geologisch gesehen, brach hier der Kontinent Europa aus der Erdkruste hervor.

Rund um die Bretagne führt ein Wanderpfad, der GR 34 (Grand Randonné). Dort kommt man an dem alten Hafen Port Manech vorbei. Passiert die Flussmündung von Belon und Aven (Achtung Austernfreunde: dort gibt es die berühmten Belonaustern). In der alten Garnisonsstadt Concarneau lohnt sich der Besuch der Ville Close, dem alten Stadtkern. Immer sieht man draußen vor der Küste das Archipel der Glénans in der Sonne glitzern. Weiter geht es, Crozon, das türkisfarbene Meer von Douarnenez, die Bucht von Brest (bei uns immer Die Brust von Brecht). Schließlich St. Matthieu – aah! Dort sollte man übernachten, ein Spaziergang durch die Klosterruine, ein wenig Träumen am äußersten Winkel des Landes, dann ein gutes Essen und ein ruhiger, tiefer Schlaf.

Eine der schönsten Küstenstraßen dieser Welt liegt zwischen Kerlaguen und Trémazon. Dann die Côte d’Eméraude, die Smaragdküste. St. Malo, die alte Seefahrerstadt und wieder der Mt. St. Michel. Und die Schätze des Binnenlandes habe ich noch gar nicht erwähnt.

Um keine Missverständnisse aufzubauen. Die Bretagne ist nicht das Auenland, sondern ein Teil der modernen Welt. Es gibt Supermärkte und Baumärkte, Schnellstraßen und Touristenrummel, Landflucht und Arbeitslosigkeit. Aber es ist immer noch ein Land aus Felsen, Wind und Meer. Und wenn man wachsam ist, kann man die Geschichten hören, die sie erzählen. Wir und alle, die wir kennen, haben diese Geschichten auf sehr persönliche Weise berührt. Manchmal schmerzhaft, aber nie vergebens.

Ein paar Tipps noch:

  • Nirgendwo in der Bretagne kann man schneller als 110 km fahren. Gewöhnt Euch dran.
  • Fahrradfahrer sind hier respektierte Verkehrsteilnehmer. Gewöhnt Euch auch daran.
  • Vorsicht bei den BummBumms. Ihr werdet wissen, was ich meine, wenn ihr den ersten passiert habt.

Kriminetz: Vielen Dank, Jens J. Kramer, für die Beantwortung der sieben Fragen.

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