Sieben Fragen an Marco Wiersch

Das Foto zeigt Marco Wiersch. © Johanna Wiersch

Der Drehbuchautor Marco Wiersch ist ausgebildeter Diplom-Psychologe. Nach dem Studium arbeitete er in einer verhaltenstherapeutischen Klinik und als Werbetexter und schrieb Drehbücher für eine Kurzfilm-Gruppe. 2000–2002 folgte die Ausbildung zum Drehbuchautor beim Aufbaustudium Film an der Universität Hamburg. Die im Rahmen des Studiums entstandene Komödie «Quak» wurde auf zahlreichen Festivals gezeigt und gewann den Short Tiger der FFA, sowie den Deutschen Filmhochschulpreis in Bronze. Der Kurzfilm «Kleine Liebe», bei dem er selbst Regie führte, feierte seine Weltpremiere beim International Film Festival of India. Er schrieb die Drehbücher für sechs Episoden der Reihe Bloch und den Fernsehfilm Sein gutes Recht (2014). Den Zweiteiler Der Fall Barschel (2015) verfasste er gemeinsam mit Regisseur Kilian Riedhof. Daneben leitet er Dialogseminare am Kölner Filmhaus.

Marco Wiersch schrieb auch das Drehbuch für den Bodensee-TATORT Rebecca mit Eva Mattes und Sebastian Bezzel als Ermittler-Team Klara Blum und Kai Perlmann. Die siebzehnjährige Hauptfigur wird darin von der Polizei neben der brennenden Leiche ihres Peinigers gefunden. Sie wurde bereits als Zweijährige entführt und war seitdem einem perfiden System ausgesetzt, in dem sie pseudoreligiös auf ihren «Erzieher» fixiert wurde. «Rebecca» hatte bei der Erstausstrahlung am 10. Januar 2016 beinahe 11 Millionen Zuschauer.

Für Kriminetz beantwortete Marco Wiersch sieben Fragen.

Kriminetz: Was war der Beweggrund für Sie, sich mit dem Stoff für „Rebecca“ auseinander zu setzen?

Marco Wiersch: Die Grundidee ist über zehn Jahre alt. Damals habe ich mich gefragt, ob es eine Möglichkeit gibt, religiöse Fanatiker aus ihrem Gedankengebäude zu bekommen. Wäre es zumindest denkbar, wenn die Realität im deutlichen Widerspruch zu ihren Glaubenslehren stehen würde? So kam ich auf die Geschichte eines Mädchens, das von einem Psychopathen erzogen wurde und nun zum ersten Mal die reale Welt betritt. Ich habe den Stoff zunächst aber nicht weiter verfolgt, weil ich keine realen Psychopathen auf Ideen bringen wollte. Leider stellte sich etwas später heraus, dass reale Psychopathen meine Ideen nicht brauchten. Plötzlich gab es in den Medien jede Menge „Kampusch- und Fritzl-Stoffe“. Ich hatte erst wenig Lust, mich da einzureihen. Doch glücklicherweise ließ weder mich noch die Tatort-Produzenten und -Redakteuere, die darum wussten, diese spezielle Geschichte los.

Kriminetz: Der „Erzieher“ von Rebecca baut sich in seinem Haus im kleinen Stil eine Sekte auf. Mit den Mechanismen, mit denen auch Sekten funktionieren, wie etwa Brechen der Persönlichkeit und Machtausübung, beherrscht er sein Opfer. Haben Sie in der Vorbereitungsphase die Strukturen von Sekten analysiert?

Marco Wiersch: Ich bin mir dieser Mechanismen bewusst . Aber mich hat mehr interessiert, wie und warum Erziehung überhaupt funktioniert. Schließlich hatte dieser „Erzieher“ es mit einem zweijährigen Kind zu tun, dem er seine pervertierten Werte zumindest teilweise mit ähnlichen Methoden vermitteln konnte, die gutmeinende Eltern bei ihren Kindern auch anwenden.

Kriminetz: Ist es möglich, Opfern wie Rebecca, die derart schwerwiegend traumatisiert wurden, wieder zu einem eigenständigen Leben zu verhelfen?

Marco Wiersch: Ich denke schon, dass das möglich ist. Doch bis dahin ist es natürlich ein weiter Weg. Rebecca ist ja am Ende des Tatorts keineswegs „geheilt“. Kai Perlmann erkennt ganz richtig, dass der nächste Schritt zu früh für sie kommt.

Kriminetz: Im Film stößt Kommissarin Klara Blum beim Verhör von Hartmut Reuter an ihre Grenzen. Inwieweit ist Mitleid mit einem Täter, der vermutlich selbst über Defizite verfügt, angemessen?

Marco Wiersch: Mitleid und Verständnis sind in gewisser Weise bei jedem Menschen angemessen, der über Defizite verfügt – also letztlich bei jedem Menschen. Dennoch können wir einen uneinsichtigen Täter, der einen hilflosen Menschen über viele Jahre bewusst und systematisch quält und seine Macht nun weiter ausspielt, erst mal nur als Täter behandeln.

Kriminetz: Es gab in den letzten Jahren Fälle, in denen junge Frauen aus jahrelanger Gefangenschaft befreit wurden. Gibt es eine „Kultur des Wegsehens“, die es ermöglicht, dass selbst direkten Nachbarn nichts Seltsames im Verhalten der Entführer auffällt?

Marco Wiersch: Die gibt es mit Sicherheit, dafür steht ja auch eine Figur in „Rebecca“ sehr deutlich. Aber ich wäre vorsichtig mit pauschalen Urteilen. In der Regel ist es ja ganz richtig, in seinem Nachbarn trotz mancher Merkwürdigkeiten nicht gleich ein Monster zu vermuten.

Kriminetz: Sind Sie mit der filmischen Umsetzung Ihres Stoffes für „Rebecca“ durch den Regisseur Umut Dag zufrieden?

Marco Wiersch: Ich bin sehr zufrieden. Umut hat einen schwierige Stoff sensibel und mit tollem Blick für die filmischen Mittel umgesetzt. Das heißt nicht, dass ich jede Entscheidung genauso getroffen hätte wie er. Aber das ist ja das Spannende am Drehbuchschreiben: Eine Welt im Kopf zu entwerfen und dann zu erleben, wie sie aus einer anderen Perspektive zum Leben erweckt wird.

Kriminetz: An welchem Projekt arbeiten Sie momentan?

Marco Wiersch: An einer ganzen Reihe Projekte, die aber alle noch am Anfang stehen. Die meisten sind keine Krimis. In einem stehen allerdings zwei sehr erfolgreiche Gauner aus dem 19. Jahrhundert im Mittelpunkt. Und entfernt schwebt mit eine Serie voller ungewöhnlicher Liebesgeschichten vor, deren Ausgangspunkt ein Mord ist...

Kriminetz: Vielen Dank, Marco Wiersch, für die Beantwortung der sieben Fragen!