Sieben Fragen an Martin Krist

Das Foto zeigt Martin Krist. Foto: © Bianca Krause

"Die Mädchenwiese" heißt der neue Thriller von Martin Krist, 40. Dies ist allerdings nur das Pseudonym eines erfolgreichen Berliner Schriftstellers, der bereits mehr als 30 Sachbücher veröffentlicht hat, darunter die Biografien über den Kiez-Helden Tattoo-Theo, die Punk-Diva Nina Hagen, den Rap-Rüpel Sido und die Grunge-Ikone Kurt Cobain. Seit 2005 schreibt er überwiegend Krimis und Thriller.

Für Kriminetz beantwortete Martin Krist sieben Fragen.

Kriminetz: Der Titel „Die Mädchenwiese“ klingt für sich genommen harmlos, nach einem behüteten Idyll von Kindern. Soll das die Leser zunächst in Sicherheit wiegen?

Martin Krist: Nein, keineswegs, den schließlich handelt es sich bei "Die Mädchenwiese" um einen Thriller. Und bei einem Thriller erwartet der Leser nun mal sehr viel Spannung und Aufregung. Deshalb zeigt schon der Prolog mehr als deutlich auf, wohin die Reise auf den nachfolgenden 400 Seiten gehen wird.

Kriminetz: Du scheinst die Urbanität zu bevorzugen. Häufig hatten deine bisherigen Themenschwerpunkte mit dem Großstadtleben zu tun. Die Wiese der Mädchen liegt in einem Wald in der Nähe eines Dorfes im Spreewald. Liegt das wahre Grauen doch in der Provinz?

Martin Krist: Wer "Die Mädchenwiese" zu Ende gelesen hat, wird wissen, dass das Grauen seinen Anfang in Berlin genommen hat, dort wo auch ich mich seit vielen Jahren beheimatet fühle. Allerdings ist einem meiner Protagonisten die Großstadt über den Kopf gewachsen, weshalb er in die Provinz geflohen ist, nämlich in das kleine, wohlgemerkt fiktive Örtchen Finkenwerda. Dummerweise ist ihm das Grauen dorthin gefolgt.
Prinzipiell lässt sich aber sagen: Das wahre Grauen ist überall beheimatet. Nur dass es uns in der hässlichen Betonwüste einer Großstadt häufiger unverhüllt ins Gesicht lacht, während es auf dem Dorf versteckt hinter brav geschnittenen Hecken stattfindet.

Kriminetz: Ferdinand Kirchberger gibt sich Frauen gegenüber anfangs äußerst charmant, was sich dann aber ins Gegenteil verkehrt. Nach der Wende bekommt er einfach eine neue Identität und taucht unter. Wie hast du dich dieser Figur genähert? Hast du Akten recherchiert?

Martin Krist: Nein, Akten habe ich nicht recherchiert. Was das Verschwinden von Ferdinand Kirchberger betrifft, habe ich mich auf das verlassen, was ich "so gehört" habe. Dass es in der DDR gang und gäbe gewesen sein soll, unbequeme Subjekte aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn dieses "Subjekt" sogar noch ein hoher Funktionär war so wie Ferdinand, dann hat man ihn vielleicht nicht nach Sibirien geschickt, sondern kurzerhand mit einer neuen Identität von der Bildfläche verschwinden lassen.
Viel wichtiger war mir, dass Ferdinand als Psychopath ein schlüssiges, realistisches Bild abgibt. Um ihn so glaubwürdig wie möglich zu zeichnen, habe ich mich über Männer wie ihn – Psychopathen, Sadisten, Vergewaltiger – informiert, Gespräche mit Medizinern gesucht, dazu etliche Bücher gelesen.
Eine sehr hilfreiche Lektüre war zum Beispiel "Im Basement" von Kate Millet.

Kriminetz: Die Frauen in deinem aktuellen Thriller verhalten sich eher passiv, ergreifen nicht selbst die Initiative. Laura hat ihr Leben nicht wirklich im Griff, die alte Berta, die als „Hexe“ beschimpft wird, hat sich nie gewehrt. Lisa ist jung und lebenshungrig und will weg, den Ausweg sieht sie in der Beziehung zu einem älteren Mann. Sind sie die idealen Opfer?

Martin Krist: Ich weiß nicht, ob sie die idealen Opfer sind. Ich weiß aber, dass es kein Wunder ist, dass eine Frau wie Laura mit allem überfordert ist: Der Ehemann hat sie mit ihrer besten Freundin betrogen, sie danach mit den Kindern, Schulden und einem maroden Haus zurückgelassen. Dass ihr die Sorgen über den Kopf wachsen, sie mehr als einmal kein Ohr für Lisa und für Sam hat – das überrascht mich nicht. Genauso wenig, wie es mich nicht überrascht, dass Lisa irgendwann die Schnauze voll hat und am liebsten mit ihrem neuen Freund von zu Hause abhauen möchte. Und dass dieser Freund ihre Situation ausnutzt, eben weil sie ein junges Mädchen ist, das dankbar ist für ein bisschen Aufmerksamkeit und Zuneigung, sollte auch niemanden verwundern.
Letztlich ist es doch so: Manchmal kommt eines zum anderen, und so sehr man dagegen ankämpft, am Ende steckt man dann doch bis zum Hals in der Scheiße.
Was ja auch auf Berta zutrifft. Bei ihr kommt noch erschwerend hinzu: Sie ist in einer anderen Zeit aufgewachsen, in der man über gewisse Dinge nicht gesprochen hat, was ein Schicksal wie das ihre erst möglich gemacht hat. Andererseits: Selbst heute sind Tragödien wie die von Berta tagtäglich – man braucht nur einen Blick in die Zeitung werfen.

Kriminetz: Schriftsteller entwerfen in jedem Roman eine eigene komplexe Welt mit fiktiven Figuren. Wie findest du nach einer Schreibphase wieder in deinen Alltag zurück?

Martin Krist: In dem ich ein oder zwei Monate lang ausschließlich Dinge mache, die mir Spaß bereiten. Weil ich, während ich an einem Roman arbeitete, nahezu keine Zeit, noch viel weniger einen Kopf dafür habe, denn ich befinde mich über Monate hinweg in einer ganz anderen Welt.

Kriminetz: Du hast Biografien über Nina Hagen und Curt Cobain veröffentlicht. Liebst du auch selbst das Extreme?

Martin Krist: Was bedeutet das - extrem? Dass ich Bücher übers Rotlichtmilieu schreibe? Dass ich BDSM zugeneigt bin? Dass ich mich habe tätowieren und piercen lassen? Für manche mag das extrem sein. Für mich ist es ein ganz normaler Teil meines Lebens, insofern ...

Kriminetz: Du bist mit Tattoos geschmückt. Wählst du sie nach Bedeutungen aus oder findest du sie einfach schön?

Martin Krist: Sowohl als auch. In erster Linie sind Tätowierungen für mich Körperschmuck. Was allerdings nicht bedeutet, dass meine Hautbilder nicht auch einen tieferen Sinn besitzen. In die aufwendigen Ornamente, eine Mischung aus Tribal- und japanischen Motiven, die ganzflächig meine beiden Arme schmücken, ist auf dem rechten Unterarm das Porträt meiner Schwester eingebunden, die mir sehr viel bedeutet. Auf dem linken Oberarm befindet sich das Porträt meiner ersten Eurasierhündin Badiva, die mir eine sehr wichtige Stütze in einer sehr schwierigen Zeit war. Nach ihrem Tod habe ich mir einen großen Engel auf die Brust - in Herznähe - tätowieren lassen, der schützend seine Hände über Badivas Namenszug, ihren Geburtstag und ihren Todestag hält.
Demnächst möchte ich mir die Porträts der drei Schriftsteller tätowieren lassen, die mich maßgeblich beeinflusst haben: Karl May, Agatha Christie, Stephen King.

Kriminetz: Vielen Dank, Martin Krist, für die Beantwortung der Fragen.

Martin Krist: Vielen Dank für Dein Interesse.

Zur Website von Martin Krist: hier