Sieben Fragen an Martin Weinhart und Thomas von Grudzinski

Thomas von Grudzinski und Martin Weinhart. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz.de

Die beiden Drehbuchautoren Martin Weinhart und Thomas von Grudzinski reisten zum 9. Festival des Deutschen Films von München nach Ludwigshafen und wurden von Rüdiger Suchsland, der dem Auswahlausschuss des Festivals angehört, im Anschluss an die Vorstellung von Türkische Früchtchen interviewt. Die Filmgespräche bieten den Festivalbesuchern die Möglichkeit, Schauspieler, Regisseure, Producer und andere Akteure, die mit der Entstehung des Filmes in Verbindung stehen, hautnah zu erleben. Martin Weinhart führte zudem Regie bei „Türkische Früchtchen“. Die beiden erzählten im Filmgespräch, sie haben schon drei Drehbücher gemeinsam verfasst, aber zum ersten Mal eines für die Reihe Unter Verdacht. Thomas von Grudzinski, Arzt und Psychotherapeut, lebte sieben Jahre in der Türkei und hat, wie er sagt, in der Zeit dort seine Herkunftskultur neu begriffen.

Im Anschluss an das Filmgespräch beantworteten Martin Weinhart und Thomas von Grudzinski für Kriminetz sieben Fragen.

Kriminetz: Ihr Film steigt hart ein, als Zuschauer ist man sofort drin in einer Szene, die emotional aufwühlt und bei der man geneigt ist, Partei zu ergreifen. Nach und nach begreift man, dass es so einfach nicht ist, die Welt lässt sich nicht grob in schwarz und weiß rastern. Die beiden türkischen Früchtchen verstecken sich doch nur hinter ihrer aggressiven Fassade?

Thomas von Grudzinski: Die brutale Fassade, klar das ist ein Schutz. Das ist ja auch traurig.

Martin Weinhart: Unsere Geschichte war die, das etwas, was auch als Bagatelle hätte abgehandelt werden können, nämlich ein versuchter, durch einen Erwachsenen verhinderter Handy-Abzieh, wie man das so sagt, dass das durch das Eingreifen vergrößert wird, zum Politikum und unheimlich aufgeblasen wird. Am Ende bleibt aber nichts übrig als dieser Handy-Klau.
Das Tragische an der Geschichte ist, dass es eben eine ganz andere Richtung bekommt. Das war unser Ansatz, einer kriminalistischen Bagatelle das gegenüber zu stellen, was durch die Politiker daraus gemacht wird.

Kriminetz: In der Reihe „Unter Verdacht“ werden eigentlich immer gesellschaftliche Themen aufgegriffen, wie zum Beispiel in einer Folge das Abschotten der europäischen Außengrenzen und das Elend der afrikanischen Flüchtlinge, die versuchen, übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Ist es ein Anliegen der Reihe, den „Finger auf Wunden der Gesellschaft“ zu legen?

Martin Weinhart: Diese Reihe hat den Anspruch, gesellschaftlich relevante Themen zu behandeln und trotzdem einen unterhaltsamen Krimi zu erzählen. Es macht es zu einer Ausnahmereihe, dass es um gesellschaftlich relevante Themen geht. Das macht diese Reihe auch sehr attraktiv und mit Senta Berger kann man auch Dinge erzählen, die normaler Weise nicht unbedingt so wahnsinnig attraktiv sind.

Kriminetz: Wurde die Figur der Dr. Eva Prohacek speziell für die Schauspielerin Senta Berger entwickelt? Als Zuschauerin habe ich den Eindruck, die Rolle passt ganz besonders zu ihr.

Martin Weinhart: Diese Reihe gibt es schon seit mehr als zehn Jahren. Und der Autor, der diese Reihe damals erfunden hat, Alexander Adolph, schrieb sie Senta Berger auf den Leib, deshalb ist sie bis heute lebendig und zeigt immer noch neue Facetten.

Kriminetz: Das Herrengespräch zwischen dem Ministerialdirigent, dem Staatsanwalt und Prohaceks Chef erinnert mich an das Buch „Die Affäre Mollath“. Bei diesem Gespräch passte der Ausspruch Dr. Prohaceks aus einer anderen Filmszene mit dem sich „in Gottes Hand befinden“ perfekt. Läuft das so in den Zentren der Macht?

Martin Weinhart: Ich nehme mal an ja. Ich glaube, dass das recht realistisch ist. Es ist wie eine Satire, aber wie wir wissen, sind die Grenzen zwischen Realität und Satire durchlässig und gar nicht mehr richtig wahrnehmbar. Wenn man mal selbst in Behörden tätig war oder in großen Systemen - da gibt es Hierarchien, wo gar nicht mehr abgewogen wird, was richtig und wichtig ist, wo es schlicht und ergreifend um die Durchsetzung von Machtinteressen geht. Ich denke, es könnte so laufen.

Kriminetz: Die soziale Schere klafft im Film extrem weit auseinander. Ich denke, nur ein Bruchteil deutscher Jugendlicher ohne Migrationshintergrund lebt in Architektenhäusern mit Designermöbeln. Wollten Sie mit diesem extremen Beispiel provozieren?

Thomas von Grudzinski: Es ist theoretisch, aber es passt zu München, erst recht im Süden. Die Paarung ist dramaturgisch interessant.

Martin Weinhart: Es war natürlich reizvoll, diese Milieus so polar wie möglich anzulegen, es resultiert ja manchmal auch ein seltsamer Humor daraus: Etwa als das Handy weg ist, mit den ganzen Bildern aus Florida.

Kriminetz: Können Sie kurz das im Film erwähnte Münchner Modell vorstellen? Funktioniert es doch nicht?
[Im Film wird es so erläutert: Neubaugebiete werden durchmischt bebaut mit Einfamilienhäusern, Miet- und Sozialwohnungen, um eine Gettoisierung zu vermeiden.]

Martin Weinhart: Im Augenblick ist es in Gefahr, weil München mit die begehrteste Großstadt ist. Es sind finanziell so starke Kräfte am Wirken, dass die Gentrifzierung überall, auch in lebendigen, gewachsenen Stadtteilen, um sich greift. Das, was Jochen Vogel damals geplant hat, wird an den Rand gedrängt. Es ist zuviel Geld im Spiel. Unsere Geschichte läuft auch hier so, dass wir etwas gegen den Strich bürsten wollten.

Thomas von Grudzinski: München ist die deutsche Großstadt mit dem größten Ausländeranteil.

Einschub Kriminetz: Der Regisseur des Films „Weil ich schöner bin“ erzählte hier vor einigen Tagen beim Filmgespräch, zu allererst hätten Kinder von Illegalen in Bayern Schulen besuchen dürfen, mit dem Argument, dass der Anspruch auf Bildung für alle gelte. Da war ich sehr überrascht.

Martin Weinhart: Es war uns auch wichtig, dass wir auf der einen Seite diesen ironischen Umgang mit bayerischer Politik pflegen. Andererseits wollten wir auch herauskehren, Bayern ist nicht das Klischee, das man mit sich herum trägt. Es ist wichtig, die eigenen Vorurteile, die man so mit sich herum trägt, immer wieder zu erschüttern.

Kriminetz: Sind Sie zum ersten Mal beim Filmfestival in Ludwigshafen und wie gefällt es Ihnen hier?

Thomas von Grudzinski: Ich bin zum ersten Mal hier, ich habe aber noch gar nichts gesehen, ich komme direkt aus dem Auto.

Martin Weinhart: Ich war schon zwei Mal in Ludwigshafen, ich habe hier einen Tatort gedreht. Die Art der Industriearchitektur, die man hier sieht, ist wirklich etwas Besonderes. Und hier beim Filmfest ist es toll, dass so viele Leute in das Zelt passen. Es ist jedenfalls unheimlich beeindruckend und eine große Freude, etwas, das man sonst nicht mitkriegt, so hautnah zu erleben. Ich fand es auch gut, dass der Humor so gut rüber kam und die Leute gelacht haben. Das hat mir sehr gut gefallen.

Kriminetz: Vielen Dank, Martin Weinhart und Thomas von Grudzinski, für die Beantwortung der Fragen.

Sämtliche Informationen zum Festival gibt’s hier

Zur Website der Reihe Unter Verdacht

Filmgespräch im Anschluss an die Vorführung des Films: Rüdiger Suchsland (Moderator), Martin Weinhart und Thomas von Grudzinski. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz.de
Martin Weinhart und Thomas von Grudzinski beantworteten Kriminetz-Redakteurin Claudia Schmid sieben Fragen. Foto: © Jürgen Schmid, Kriminetz.de