Sieben Fragen an Michael Herzig

Auf dem Foto: Michael Herzig. Foto: © Pino Ala

Der Schweizer Autor Michael Herzig hat bereits drei Krimis im Grafit Verlag veröffentlicht. Der jüngste trägt den auffordernden Titel „Töte deinen Nächsten“.
Die Literaturförderungskommission des Kantons Zürich vergab im Juli 2012 vier Preise für ›herausragende Neuerscheinungen‹. „Töte deinen Nächsten“ war eines der ausgezeichneten Werke.

Für Kriminetz beantwortete Michael Herzig sieben Fragen.

Kriminetz: Es ist über Sie zu lesen, dass Sie auch gerne Rockmusiker geworden wären. Was ist das Gemeinsame an Musik machen und Krimi schreiben?

Michael Herzig: Der kreative Prozess, das Adrenalin im Blut bei Bühnenauftritten, die Cowboystiefel.
Literatur und Musik haben sehr viel gemeinsam. Jazz war der Soundtrack der Beat Generation. Charles Bukowski hat unzählige Bands inspiriert, obschon er selbst Rockmusik hasste. The Smiths waren stark von Loneliness Of A Long Distance Runner von Alan Silitoe beeinflusst. Und bei George Pelecanos klingt praktisch in jedem Satz Chuck Brown & The Soul Searchers und der ganze andere fantastische Washington-Sound mit.
Für mich waren Literatur und Musik immer die beiden Ausdrucksformen, mit denen mich wildfremde Menschen ganz direkt emotional berühren konnten und in denen ich mich selbst am besten mitteilen konnte. Ich habe beides ungefähr zur selben Zeit entdeckt – vor vielen, vielen Jahren. Und ich bin glücklich, dass ich mich in beiden Formen halbwegs ausdrücken kann. Wenn ich schreibe, ist das einfach Rock’n Roll zum Lesen.

Kriminetz: Sie kennen auch die dunklen Seiten der Stadt Zürich bestens. Das passt so gar nicht zum Klischee, das von der Stadt herrscht. Können die Bewohner selbst dieses Sauberkeitsimage, das so wenig aufregend klingt, nicht mehr hören?

Michael Herzig: Diese ganzen Schweiz-Klischees können einem schon mächtig auf den Zeiger gehen. Vor allen Dingen, weil sie zutreffen.
Natürlich ist Zürich properer als New York oder Glasgow oder auch Berlin. Trotzdem kann man in der Stadt mit der weltweit am höchst- oder zweithöchst bewerteten Lebensqualität das Ende der Gemütlichkeit erleben. Aus meinem bürgerlichen Beruf kenne ich das gut. Das Drogen- oder Prostitutionsmilieu beispielweise. Zudem lauert Böses häufig hinter sauberen Fassaden. In der Schweiz offenbart sich dies regelmäßig, wenn ein unbescholtener Bürger mit der Armeewaffe seine Familie auslöscht. Das mag aus deutscher Sicht weniger spektakulär erscheinen als der Kauf von CD’s mit geklauten Steuerdaten. Aber beides zeigt, dass wir in der Schweiz durchaus Grund haben, den Dreck vor der eigenen Haustür genauer unter die Lupe zu nehmen. Insbesondere denjenigen unter der Schuhmatte.

Kriminetz: In „Töte deinen Nächsten“ thematisieren Sie eine gewisse Fremdenüberdrüssigkeit der Züricher. Die Schweiz ist schon so lange das Traumziel betuchter Deutscher, darunter sind ja auch ganz bekannte Namen. Hat man sich nicht längst an sie gewöhnt?

Michael Herzig: Die Schweiz sei ein bizarres Land, hat David Bowie gesagt, als er von Genf nach New York gezogen ist. Auch so ein reicher Steuerflüchtling. Zudem einer, der sich mit Bizarrem auskennt. Als Eingeborener nehme ich das gelassener. Ich glaube nicht, dass die Schweizer rassistischer und fremdenfeindlicher sind als die Deutschen. Aber die Schweiz ist ein durch und durch mittelschichtiges Land. Die Unterschichten sind bzw. waren bei uns in den letzten hundert Jahren die Ausländer. Nun haben Kleinbürger notorisch Verlustängste. Diese werden von deutschen Krankenschwestern, Informatikern und Lehrerinnen weit stärker genährt als von spanischen oder serbischen Bauarbeitern. Das ist eine Erklärung für die Deutschenphobie: Deutsche sind bedrohlicher als andere Ausländer, weil sie uns ähnlicher sind. Hinzu kommt, dass sich die Schweizer auf ihrer Insel des Friedens und des Wohlstands inmitten eines Ozeans der Unsicherheit und der Krisen den Luxus leisten, sich primär mit sich selbst zu beschäftigen. Aus dieser Perspektive sind die anderen immer fremd. Das erklärt dieses seltsame Schwanken zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex, das die Debatte um das Bankgeheimnis oder um das Steuerabkommen mit Deutschland so stark prägt.

Kriminetz: Welches Buch lesen Sie im Moment?

Michael Herzig: Destination: Morgue! von James Ellroy. Düsterer geht kaum mehr. Danach ist City oft the Dead von Sara Gran an der Reihe.

Kriminetz: Die Schilderung der Gefühlswelt der ungewöhnlichen Stadtpolizistin Johanna di Napoli wirkt sehr lebendig. Gab es ein weibliches „Muster“ für diese gelungene Beschreibung?

Michael Herzig: Ich bin der Überzeugung, dass die allermeisten Unterschiede zwischen Frauen und Männern soziale Konstruktionen sind. Also habe ich mich hingesetzt und selber konstruiert. Offensichtlich ist mir dies nicht schlecht gelungen.

Kriminetz: Der Killer in Ihrem aktuellen Krimi funktioniert reibungslos wie eine gut laufende Maschine. Jegliche Empathie mit seinen Opfern fehlt ihm völlig. Nur vor den Damen macht er Halt. Ist er ein Gentleman der alten Schule?

Michael Herzig:
Nein, nein, nein, das ist eine vollkommen gender-gebiaste Interpretation! Der Killer lässt eine Dame am Leben, weil sie seine Jugendfreundin ist, die andere, weil sie einer der wenigen, wenn nicht der einzige Mensch auf der Welt ist, den er respektiert – wegen ihrer Geradlinigkeit, ihres Mutes und ihrer Leidenschaft. Dieser Killer ist ein durch und durch böser und zynischer Misanthrop. Aber er ist auch ein bisschen altmodisch. Insofern haben Sie nicht ganz unrecht. Das Böse wir erst dann so richtig bedrohlich, wenn es auch ein bisschen menschlich ist. Diesen Effekt wollte ich erzeugen.

Kriminetz: Was wäre ihr eigenes Traumland, wenn Sie auswandern würden?

Michael Herzig: Natürlich Deutschland!

Kriminetz: Vielen Dank, Michael Herzig, für die Beantwortung der Fragen.

Autorenwebsite von Michael Herzig hier