Sieben Fragen an Titus Müller

Das Foto zeigt Titus Müller. Foto: © Sandra Weniger

Der Schriftsteller Titus Müller lebt mit seiner Frau in München. Der gebürtige Leipziger studierte Literatur, Mittelalterliche Geschichte, Publizistik- und Kommunikationswissenschaften in Berlin. Titus Müller gründete 1998 die Literaturzeitschrift Federwelt und war drei Jahre lang deren Herausgeber und Redakteur. Gemeinsam mit Kollegen gründete er 2002 den Autorenkreis historischer Roman Quo Vadis.
Im selben Jahr erschien der erste historische Roman aus seiner Feder, Der Kalligraph des Bischofs. Mittlerweile sind fünfzehn Bücher von ihm erschienen, zuletzt dieser Tage der Spionagethriller Nachtauge bei Blessing, der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs handelt. Im Jahr 2005 erhielt Titus Müller den C.S. Lewis-Preis und belegte den zweiten Platz beim Würth-Literaturpreis der Universität Tübingen. Sein Roman Das Mysterium wurde 2008 mit dem Sir Walter Scott-Preis in Bronze als einer der drei besten historischen Romane der letzten zwei Jahre ausgezeichnet. Sein 2012 im S. Fischer-Verlag erschienener Jugendroman Der Kuss des Feindes ist für den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2013 nominiert.

Für Kriminetz beantwortete Titus Müller sieben Fragen.

Kriminetz: Mit dem Spionagethriller „Nachtauge“ bist du ganz schön nahe an die Gegenwart gerückt, nachdem mehrere deiner Romane im Mittelalter handeln. War es eine andere Art der Annäherung, einen Stoff aus einer Zeit literarisch zu bearbeiten, aus der es noch lebende Zeitzeugen gibt und du vielleicht noch Erinnerungen an die Erzählungen von Großeltern und anderen Verwandten aus dieser Zeit hattest?

Titus Müller: Na klar, das war eine ganz andere Arbeit. Ich konnte mir die Filme anschauen, die meine Romanfiguren im Kino sehen, konnte ihre Musik hören, ihre Tageszeitung lesen – das hat mich nahe an die Figuren herangebracht.

Kriminetz: Beim Lesen deines Romanes hat man den Eindruck einer aufwändigen und gründlichen Recherche. Ich fand es zum Beispiel unheimlich spannend, Einblick in die Arbeit des Geheimdienstes zu bekommen. Wie bist du an die Informationen gekommen?

Titus Müller: Auch wenn es „Geheimdienst“ heißt – über die Arbeit der deutschen „Abwehr“ und des britischen MI5 zur Zeit des Zweiten Weltkriegs ist inzwischen einiges publiziert worden, da ist das meiste nicht mehr geheim. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der MI5 gab dem Cambridge-Geschichtsprofessor Christopher Andrew Zugang zu seinen älteren Archiven, und daraufhin veröffentlichte Andrew ein spannendes, aufschlussreiches Buch: „MI5. Die wahre Geschichte des britischen Geheimdienstes“.

Kriminetz: Die Personen im Roman gehen unterschiedlich mit ihrem Leben während des Nazi-Regimes in Deutschland um. Da gibt es neben knallharten Profiteuren unauffällige Systemkonforme und in verschiedenen Abstufungen Menschen, die eben nicht mitmachen oder sich sogar aktiv widersetzen. Bei welcher Figur brauchtest du besonders viel Imaginationsvermögen, um dich beim Schreiben in sie hinein zu versetzen?

Titus Müller: Erschreckenderweise konnte ich mich sowohl in die Widerstandskämpfer als auch in die Gestapo-Schergen gut hineinversetzen. Axel Rottländer zum Beispiel wünscht sich Anerkennung, er wechselt von der Ordnungspolizei zur Gestapo, weil es hier bessere Aufstiegschancen gibt. Anfangs stört ihn so manches, er ist kein einfacher Mitläufer. Aber er meint, sich mit dem System arrangieren zu müssen, damit er auf der Seite der Gewinner steht. Er will nicht der Dumme sein, deshalb redet er sich so lange gut zu, bis er die Ungerechtigkeiten ertragen kann, die er anderen zufügt, und vor allem die Vorteile für sich sieht.

Kriminetz: Was muss ein Thema an sich haben, dass du so dafür brennst, um dich einige Monate intensiv damit zu beschäftigen?

Titus Müller: Nicht die Frage „Wer war’s?“ soll im Vordergrund stehen, sondern die Frage „Warum?“ Am besten ist es, wenn die Geschichte den Sinnsucher in mir berührt. Das ist bei „Nachtauge“ auf jeden Fall passiert. Vieles lässt sich auf heute übertragen: Für die Nazis war eine ukrainische Zwangsarbeiterin wie Nadjeschka dumm, schmutzig und wertlos. Man stempelte die Zwangsarbeiter, die man im Osten einfing, als „Steppenmenschen“ ab. Heute kategorisieren wir nicht ganz so brutal, aber wir kategorisieren immer noch, trotz aller Lippenbekenntnisse zur Gleichheit der Menschen: Je nach Herkunft, Einkommen und Beruf stecken wir die Leute in Schubladen und bewerten sie innerlich.

Kriminetz: Wo arbeitest du am liebsten: zuhause oder kannst du während einer Lesereise auch im Hotelzimmer schreiben?

Titus Müller: Ich kann auf Lesereisen gut schreiben, vor allem im Zug. Ich liebe meinen „Schreibtisch“ im ICE! Da kann ich richtig in der Geschichte versinken, und wenn ich nachdenken muss, schaue ich nach draußen in die vorbeiziehende Landschaft.

Kriminetz: Wenn du nun nicht Schriftsteller wärst – welchen anderen Beruf könntest du dir für dich vorstellen?

Titus Müller: Lektor zu sein, würde mir Spaß machen, oder Buchhändler. Wenn’s nichts mit Büchern zu tun haben darf, könnte ich mir vorstellen, einen Laden zu betreiben für irgendwas anderes, Brettspiele zum Beispiel. Aber eigentlich liebe ich genau das, was ich jeden Tag tue.

Kriminetz: Auf welches Buch dürfen sich deine Leser als nächstes freuen?

Titus Müller: Mein nächstes Buch erscheint im kommenden Winter. Es wird nur eine kleine Erzählung sein. Eine Liebesgeschichte und zugleich die wahre Geschichte eines Mannes, der im 19. Jahrhundert eine wundervolle Entdeckung gemacht hat.

Vielen Dank, Titus Müller, für die Beantwortung der Fragen.

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Zum Trailer auf youtube Nachtauge