Sieben Fragen an Unni Lindell

Bereits zweimal wurde Unni Lindell mit dem begehrten Riverton-Preis ausgezeicht. Als Preis gibt es einen Revolver. © Aschehoug

Die Norwegerin Unni Lindell, geboren am 3. April 1957, hatte zahlreiche Jugendbücher geschrieben, bevor sie ihre Krimiserie um den Osloer Kommissar Cato Isaksen begann. Ihr Roman Drømmefangeren (deutsch Pass auf, was du träumst) wurde1999 mit dem Riverton-Preis für den besten norwegischen Kriminalroman ausgezeichnet. Ihre Bücher wurden bereits in zehn Sprachen übersetzt und einige ihrer Romane auch verfilmt. Der Dreiteiler „Drømmefangeren“ nach dem gleichnamigen Kriminalroman aus dem Jahr 1999 wurde vom norwegischen Fernsehen NRK 2005 ausgestrahlt. 2008 folgte die Fernsehfassung des Romans „Sørgekåpen“ (deutsch „Der Trauermantel“). Unni Lindell lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Oslo.

Aktuell ist von ihr in Deutschland Im Wald wirst du Schweigen erschienen. Den Kriminalroman übersetzten aus dem Norwegischen ins Deutsche Gabriele Haefs und Andreas Brunstermann.

Auch dieser Roman wurde in Norwegen mit dem begehrten Riverton-Preis ausgezeichnet, damit ist Unni Lindell eine der wenigen, die diesen Preis zweimal mit nach Hause nehmen konnten. Als Preis gibt es einen Revolver, auf unserem Foto sind beide zu sehen.

Für Kriminetz beantwortete Unni Lindell sieben Fragen.

Kriminetz: Gabriele Haefs hat schon mehrere Ihrer Romane ins Deutsche übersetzt. Treffen Sie beide sich persönlich und tauschen sich aus, wenn eine neue Arbeit ansteht?

Unni Lindell: Nein, wir treffen uns gern, aber nicht zum Arbeiten. Wir mailen. Gabriele schreibt mir, wenn sie etwas wissen will, dann diskutieren wir darüber. Oder wir schreiben uns Postkarten. Ich bin sehr zufrieden mit den Übersetzungen.

Kriminetz: Verlassene Orte wie das Militärgelände in Ihrem Kriminalroman üben eine besondere Anziehungskraft auf die Fantasie aus, weil sich in verborgenen Orten geheime Dinge ereignen können, von denen niemand etwas mitbekommt. Was war der Auslöser für Sie, auf das Militärlager Skar, über das im Vorwort die Rede ist, aufmerksam zu werden? War es möglich, das Gelände zur Recherche zu durchstreifen?

Unni Lindell: Ich finde verlassene Gebäude unheimlich. In „Brudekisten“ (einem vor einigen Jahren erschienenen, nicht ins Deutsche übersetzten Roman) habe ich ein stillgelegtes psychiatrisches Krankenhaus benutzt, das ich einmal besichtigt hatte. Ich bin viel in Maridalen bei Oslo hin und hergefahren, wo sich das ehemalige Militärlager befindet. Ich durfte das Gelände hinter dem hohen Maschendrahtzaun nicht betreten, aber ich konnte alle Gebäude sehen. Ich erfinde keine Orte, ich schreibe lieber über wirklich existierende. Dann „glaube“ ich auch an das Buch. Ich muss an das glauben, was ich schreibe, damit andere es beim Lesen ebenfalls glauben können.

Kriminetz: Immer wieder sind Insekten ein Thema in „Im Wald wird du schweigen“. Auf S. 71 der deutschen Übersetzung sagt die Figur Agnes, „weil Insekten keine Tiere sind. Es sind Insekten“. Interessieren sie sich selbst auch für diese ungewöhnlichen Lebewesen, die doch von Vielen nicht sonderlich geschätzt werden?

Unni Lindell: Nicht besonders, aber ich stelle viele Recherchen an, wenn ich mich erst für ein Thema entschieden habe. In diesem Buch musste es einfach um Insekten gehen, denn auf Norwegisch heißt das Buch „Die Drohne“ (ich finde, so hätte es auch auf Deutsch heißen müssen, wenn ich ehrlich sein soll). Die Insekten bekommen damit eine doppelte Bedeutung, die Drohne ist ja ein männliches Tier, gewissermaßen ein Immerich oder Wesperich. Außerdem sind Insekten gerade aus Umweltgründen im Gespräch, sie sind ja vom Aussterben bedroht, und da war es besonders gut, sie als Thema zu haben.

Kriminetz: In „Im Wald wirst du schweigen“ überraschen Sie die Leserschaft mit einer Wendung, die nicht vorhersehbar ist, so wie ich insgesamt den Roman sehr spannend finde und ihn sehr gerne gelesen habe. Sie schreiben selbst, das Buch sei in erster Linie ein Märchen für Erwachsene. Fällt es Ihnen leichter, für Erwachsene zu schreiben als für Kinder?

Unni Lindell: Tausend Dank für das Kompliment. Kinderbücher sind ja meistens weniger umfangreich, deshalb ist es schon anstrengender, einen großen Erwachsenenroman zu schreiben. Ich gebe mir immer Mühe, in meinen Kriminalromanen überraschende Wendungen einzubauen. Die Leserin oder der Leser sollen glauben, Bescheid zu wissen, aber dann ändert sich das Bild total. In „Im Wald wirst du schweigen“ mache ich das dreimal. Und immer wird von mir ein überraschender Schluss erwartet, den mache ich also in jedem Buch.

Kriminetz: Im Roman erweist sich die Trauerbewältigung einer Mutter als monströse Zumutung für ihren Sohn. Eigentlich kommt keine der Mütter in „Im Wald wirst du schweigen“ gut weg. Bei keinem mütterlichen Umgang kommt etwas Gutes für das Kind heraus, so unterschiedlich die Frauen auch sind. Sind jenseits sexueller Übergriffe der psychologische Missbrauch oder Vernachlässigung im selben Maße traumatisierend für Kinder?

Unni Lindell: Ich interessiere mich sehr für Psychologie und Familienverhältnisse. Ich finde zum Beispiel „Verfolgungsjagd mit Autos und Schusswechsel im Parkhaus“ längst nicht so spannend wie eine „gefährliche Mutter“. Zu Hause passiert sehr viel. In einer Kindheit kann sehr viel Gefährliches geschehen, denn das Kindergemüt ist empfindlich und verletzlich. Die Kindheit kann ganz einfach gefährlich sein. Das will ich aufzeigen. Nur wenige richtige Mörder hatten eine glückliche Kindheit. Es gibt natürlich Ausnahmen, aber Kinder sind extrem empfänglich für Hass und Liebe. Ich meine nicht, dass Mütter perfekt sein müssen. Ich halte mich selbst nicht für eine perfekte Mutter, sondern für eine ganz normale, die manches richtig und manches falsch gemacht hat, aber mit meinen erwachsenen Söhnen ist alles gut gegangen. Ich schreibe über Extremverhältnisse, die lösen eine gute Story aus. Am Schnittpunkt zwischen Verletzlichkeit und Wut geschehen viele gefährliche Dinge.

Kriminetz: Kommissarin Marian Dahle hat Probleme damit, jemand zu vertrauen. Trotzdem scheint sie zum Ende hin gemeinsam mit ihrem Freund die ersehnte Ersatz- oder Zusatzfamilie für den kleinen Leo zu sein. Wird sie in einem nächsten Band ihre Bindungsangst in den Griff bekommen?

Unni Lindell: Marian ist eine spannende Ermittlerin, weil sie selbst als Adoptivkind in einer dysfunktionalen Familie aufgewachsen ist. Wir werden sehen, wie es im nächsten Buch weitergeht, sie ist nicht so stabil, wie sie am Ende dieses Romans wirkt. Das kann ich garantieren. Sie ist ein bisschen ein Nerd, ist stark, sehr tüchtig, aber auch sehr verletzlich und nervlich schwach. Das wissen aber nur wir beim Lesen. Die Kollegen wissen nicht, wie sie wirklich ist, dann würde ihr bei der Polizei gekündigt werden, da sie sich beim Ermitteln nicht so ganz an die Vorschriften hält. Sie löst ihre Fälle, weil sie sich in den Mördern oder Mörderinnen wiedererkennt. Ich habe das Gefühl, am besten zu sein, wenn ich gerade diesen Schnittpunkt schildern kann, an dem Marian Dahle versteht und durchschaut. Sie ist eine scharfe Beobachterin.

Kriminetz: Marians Freund Heine will mit ihr in die Alabaster-Stadt Volterra reisen. Ist die dunkle Stadt mit ihren engen Gassen und hohen Häusern ein Sehnsuchtsort für norwegische Reisende? Ich hätte eher auf heitere, lichtüberflutete Städte wie Pisa oder Ravenna getippt.

Unni Lindell: Volterra ist auch kein Traumziel für norwegische Reisende, es ist vielleicht eher ein Symbol für Marian Dahles Gemüt. Sie kommt ja auch niemals dorthin, denn sie muss einen Mordfall lösen und Heine muss allein verreisen.

Kriminetz: Vielen Dank, Unni Lindell, für die Beantwortung der sieben Fragen und ganz außerordentlichen Dank an Gabriele Haefs für die Übersetzung der Fragen ins Norwegische und der Antworten ins Deutsche.

Zu Unni Lindells norwegischer Seite hier klicken