Sieben Fragen an Volker Kutscher

Das Foto zeigt Volker Kutscher. © Claudia Schmid, Kriminetz

Volker Kutscher, geboren 1962, arbeitete nach dem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte zunächst als Tageszeitungsredakteur, bevor er seinen ersten Kriminalroman schrieb. Heute lebt er als freier Autor in Köln. Mit dem Roman Der nasse Fisch, dem Auftakt seiner Krimiserie um Kommissar Rath im Berlin der 30er-Jahre, gelang ihm auf Anhieb ein Bestseller. Es folgten bisher Der stumme Tod, Goldstein und Die Akte Vaterland, allesamt Besteller. Zuletzt erschien Märzgefallene.
Regisseur Tom Tykwer beginnt demnächst mit der Verfilmung von »Der nasse Fisch«.

Für Kriminetz hat Volker Kutscher sieben Fragen beantwortet.

Kriminetz: Ihre Romane um Gereon Rath handeln im Berlin der frühen dreißiger Jahre. Wie kam es zur Entscheidung für genau diese historische Zeit?

Volker Kutscher: Um diese Frage zu beantworten, muss ich eigentlich bis in meine Kindheit zurückgehen, denn damals, mit der Lektüre von Kästners „Emil und die Detektive“ begann meine Leidenschaft für das Berlin dieser Jahre. Warum, das kann ich Ihnen gar nicht sagen, das war einfach so. Jedenfalls habe ich dann weiter Kästner gelesen, „Pünktchen und Anton“ etwa, auch das ja ein Berlin-Roman, und später, als ich älter war, auch den „Fabian“ und Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Die Romane der sogenannten Neuen Sachlichkeit haben mich immer schon fasziniert, und die meisten von denen spielen in Berlin. Eine andere Welt, die mich fasziniert, ist die der amerikanischen Gangster der zwanziger und dreißiger Jahre. Die beiden Welten wollte ich miteinander verbinden.
Ein zweiter Aspekt ist der politische, und deshalb sind die Romane als Serie angelegt: Ich möchte mit meinen Figuren nachempfinden, wie es möglich war, das aus dem Deutschland der Weimarer Republik, das viele hoffnungsvolle und moderne Ansätze in sich trug, wie aus dieser zivilisierten Republik so eine barbarische Diktatur wie das Dritte Reich werden konnte. Letzten Endes geht es also auch um die Zerbrechlichkeit des zarten Pflänzchens Demokratie, um die Fragilität der westlichen Zivilisation, darum, dass man für deren Erhalt und deren Errungenschaften kämpfen sollte.

Kriminetz: Die Verlobte Gereons, Charly, ist eine sehr selbstbewusst gestaltete Figur. War es zu der Zeit Frauen möglich, derart emanzipiert zu leben?

Volker Kutscher: Ja, das war es. Allerdings kostete es viel Kraft und Durchsetzungsvermögen, weil die Gesellschaft so eine Lebensweise noch nicht kannte. Und die emanzipierten Frauen, die sie betrieben, auch nicht, es war also für alle Seiten Neuland. Die Voraussetzungen dafür waren in der neuen Republik jedoch erstmals in Deutschland gegeben. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte das Land die Fesseln der Kaiserzeit abgeworfen, und denjenigen, die die neuen Freiheiten nutzen wollten, stand die Welt offen. Gerade in einer Stadt wie Berlin.

Kriminetz: Worin sehen Sie heute Gefahren für unsere Gesellschaft?

Volker Kutscher: Ich glaube nicht, dass Deutschland noch einmal Gefahr läuft, von einem Nazi-Regime in den Abgrund geführt zu werden. Es geht mir in meinen Romanen auch eher darum zu zeigen, dass unsere Art zu leben, die westliche, freiheitliche, gleichberechtigte, säkulare Lebensart also, dass dies alles nicht selbstverständlich ist und die Geschichte nicht automatisch dort hinführt. Vor 80, 90 Jahren waren Demokratie und Freiheit von autoritären Herrschaftsideen wie Faschismus und Stalinismus bedroht, heute sind es andere Gefahren. Die zunehmende Macht der globalen Konzerne zum Beispiel, die machtvoller sind als die meisten Staaten. Und die alles sind, aber bestimmt nicht demokratisch. Eine weitere große Gefahr ist der islamische Extremismus mit seinem Weltherrschaftsanspruch und infolgedessen auch die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, die immer weiter sinkende Bereitschaft miteinander zu reden, die leider auch bei demokratischen Politikern zu finden ist. Debatten werden hierzulande viel zu schnell abgewürgt, mit der Nazikeule und anderen Totschlagsargumenten. In einer Demokratie soll und muss man aber miteinander reden, gerade mit Leuten, mit denen man nicht einer Meinung ist. Nicht jeder, der eine nichtliberale Auslegung des Islam kritisiert ist islamophob. Und nicht jeder, der politisch rechts steht, ist gleich ein Nazi. Diese inflationäre Verwendung des Begriffs Nazi ärgert mich sehr, denn sie verharmlost und verwässert, was Nationalsozialismus wirklich war.

Kriminetz: Wie lange arbeiten Sie jeweils an Ihren Romanen? Die Recherche dafür nimmt doch sicherlich viel Zeit in Anspruch?

Volker Kutscher: Alle zwei Jahre erscheint ein neuer Rath-Roman, so ist die Vereinbarung mit dem Verlag. Und bislang habe ich es auch immer geschafft, in diesem zeitlichen Rahmen zu bleiben. Schneller kann ich es auch nicht. Recherche und Schreiben greifen ineinander, auch nach der eigentlichen Recherchephase muss ich immer noch Dinge nachrecherchieren, die sich während des Schreibens neu ergeben haben.

Kriminetz: Drehbuchautoren machten aus Ihrem Roman »Der nasse Fisch« eine Serie für das Fernsehen. Hatten Sie ein Mitspracherecht bei den Drehbüchern?

Volker Kutscher: Nein. Aber Tom Tykwer war schon daran interessiert, mich kennenzulernen und meine Meinung zu hören. Genau wie Sie bin ich sehr gespannt, was er und seine Co-Autoren aus dem Stoff machen. In diesem Frühjahr soll mit dem Dreh begonnen werden.

Kriminetz: Worum geht es im nächsten Fall Gereons, der, wie Sie im Heidelberger Karlstorbahnhof verrieten, bald erscheinen wird?

Volker Kutscher: Der Roman trägt den Arbeitstitel „Lunapark“ und wird im Herbst 2016 erscheinen. Historischer Hintergrund sind die Ereignisse des sogenannten „Röhm-Putsches“, der ja gar kein Putsch war, im Sommer 1934. Bei den fiktiven Mordfällen, die Rath untersucht, handelt es sich um Morde an SA-Männern, die brutal zu Tode geprügelt werden. Aber es geht auch um Widerstand und Anpassung, um kommunistische Untergrundkämpfer, um den Überlebenskampf des organisierten Verbrechens nach der Zerschlagung der Ringvereine und nicht zuletzt auch um wichtige Entscheidungen, vor die viele meiner Figuren gestellt werden.

Kriminetz: Hätten Sie selbst gerne in einer anderen Epoche gelebt und falls ja, in welcher?

Volker Kutscher: Nein, ich bin sehr froh, in meiner Gegenwart zu leben, aber wenn es Zeitreisemöglichkeiten gäbe, dann wären das ausgehende 18. Jahrhundert und eben die 1920er und 30er Jahre Epochen, in die ich gerne mal hineinschauen würde. Aber bitte mit Rückfahrkarte.

Kriminetz: Vielen Dank, Volker Kutscher, für die Beantwortung der sieben Fragen.

Kommissar Gereon Rath hat eine eigene Website sowie eine Seite auf FB.