Ein Kriminalist mit Herzblut

Sein letzter öffentlicher Auftritt als Polizeipräsident in Mannheim war digital: Andreas Stenger beim Streaming seines Vortrages »Wahre Fälle« in der Abendakademie Mannheim. Ab 1. Mai 2021 ist er der Leiter des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg in Stuttgart. Foto: © Claudia Schmid

Es gibt ihn nicht, den einen brillanten, Kette rauchenden Kriminalkommissar, der schrullig im Alleingang komplexe Fälle löst. Polizeiarbeit ist immer Teamarbeit. Sonderkommissionen bestehen aus bis zu 50 Personen. Die Vielfalt der Beteiligten an dieser Zusammenarbeit ist etwas Besonderes: Leute aus den Bereichen IT, Fallanalyse, Rechtsmedizin und andere arbeiten in einem multidisziplinärem Team über eine komplexe Fragestellung zusammen. Gründlichkeit geht dabei vor Schnelligkeit. Polizeipräsident Andreas Stenger räumt in seinem Vortrag mit Klischees auf, die in der Realität nichts mit Polizeiarbeit zu tun haben. Es ist nie das Werk eines Einzelnen, sondern immer das eines gut orchestrierten Teams.

In der Abendakademie Mannheim hat der scheidende Polizeipräsident Mannheim seinen letzten öffentlichen Auftritt, der per Streaming zuhause verfolgt werden kann. Ab 1. Mai 2021 leitet er in Stuttgart das Landeskriminalamt Baden-Württemberg. Bereits von 2010 bis 2014 war er Stellvertretender Abteilungsleiter des Kriminaltechnischen Instituts beim LKA, dessen Leiter er schließlich 2014 wurde. Seit dem 5. Januar 2018 war Andreas Stenger Vizepräsident des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg. Seit dem 1. Mai 2019 ist Andreas Stenger Polizeipräsident in Mannheim.

Nach einem Abriss über die Entwicklung der DNA-Analyse geht er auf die Digitalisierung des Verbrechens ein, die immer mit der Digitalisierung der Gesellschaft einher geht. Cybercrime-Delikte steigen ständig. Die Digitalisierung bietet aber auch neue Möglichkeiten für die polizeiliche Arbeit, etwa bei der digitalen Konstruktion eines Tatortes oder beim Auslesen der elektronischen Daten eines Fahrzeuges.

Mithilfe einiger ausgewählter Fälle erläutert er im weiteren Verlauf exemplarisch Teile der Ermittlungsarbeit. So gab es im Jahr 2016 den Auftrag für einen Mord, der in der Nähe des Mannheimer Fahrlachtunnels ausgeführt werden sollte. Es schlug fehl, das überlebende Opfer konnte selbst einen Notruf absetzen und der Täter wurde noch in Tatortnähe gefasst. Aufgespürte Munitionsteile lieferten Hinweise auf die verwendete Waffe. Für den Schusswaffenerkennungsdienst ist diese ein wichtiger Ermittlungsansatz.

Im Fall der als vermisst gemeldeten jungen Frau aus dem Heidelberger Emmertsgrund im Jahr 2017 führten die Spuren, nachdem bereits die Nachbarn von einen heftigen, lautstark geführten Beziehungsstreit berichtet hatten, zum Täter. In der Kriminalistik wird zur Spurensicherung eine Flüssigkeit verwendet, die sich mit dem Hämoglobin im Blut verbindet. Forensische Lichtquellen machen diese Spuren sichtbar. Aufgrund der objektiven Beweislage ergab sich die Schuld des Täters.

Auf der A5 ereignete sich vor wenigen Jahren ein überaus tragischer Unglücksfall, der zunächst wie ein Anschlag wirkte. Ein Metallstück schlug durch die Windschutzscheibe eines Autos und traf die Beifahrerin, die leider verstarb. Ermittlungen führten zu dem Ergebnis, dass sich die rotierende Klinge eines Mähers beim Aufschlag auf einem Granitstein gelöst hatte. Aus der Bewegung heraus schleuderte sie weiter und durchschlug die Windschutzscheibe. An dem gesicherten Metallstück fanden sich Spuren des Granits, der als Grenzstein diente.

In seine Zeit als Leiter des Kriminaltechnischen Instituts beim Landeskriminalamt Baden-Württemberg fielen die Ermittlungen der SOKO Dreisam im Fall der Ermordung einer jungen Frau. Vielfache Kratzspuren an der Leiche führten zu dem Schluss, dass sich auch der Täter bei dem Kampf im Brombeergestrüpp Verletzungen zugefügt haben musste. Um Beweise zu sichern, wurde die Brombeerhecke großflächig eingesammelt. 56 Mitarbeiter untersuchten sieben lange Wochen mikroskopisch Blatt für Blatt dieser Hecke und fanden schließlich ein Haar, sogar mit Haarwurzel. Die Auswertung ergab, dass es sich um einen Täter mit extravaganter Frisur gehandelt haben musste. Daraufhin wurden stundenlang Video-Überwachungsbänder der Region gesichtet. Das ermittelte Foto wurde an die Reviere gesandt, wo ein Kollege den Täter erkannte und der Fall aufgeklärt werden konnte.

Spannend ist der Einsatz von Polizeihunden. Neben Einsätzen bei der Drogen-, Sprengstoff- und Leichensuche werden sie auch beim Mantrailing eingesetzt. Den Weg des Täters genau zu untersuchen liefert Hinweise, da diese oft versuchen, unterwegs Dinge loszuwerden.

Es ist deutlich zu spüren: Andreas Stenger ist Kriminalist aus Leidenschaft. Man hätte ihm noch stundenlang zuhören können! Dabei ist es dem baldigen Leiter des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg auch wichtig, Cold Cases immer wieder neu zu prüfen. Denn kein Täter darf seine Ruhe finden. Der soll jedes Mal, wenn es klingelt, aufschrecken. Man möchte, als er das ausspricht, sich nicht vorstellen, in das Visier von Andreas Stenger zu geraten. Denn wenn er klingeln lässt, dann hat sein Team stichhaltige Beweise erarbeitet.