Interview mit Jörg Kastner / Ralf Langroth / Jan Lucas

Jörg Kastner Foto: Wolfgang Weßling

Jörg Kastner

“Ein deutscher Spannungsautor, der Lust auf mehr macht”, urteilt BILD am Sonntag über Jörg Kastner. Der gebürtige Westfale hat Jura studiert und als Volljurist die Befähigung zum Richteramt erworben, dann aber aus der Liebe zum Schreiben einen Beruf gemacht. Bislang in fünfzehn Sprachen übersetzt, sind seine Bücher auch im Ausland sehr erfolgreich. Neben historischen Romanen („Die Farbe Blau“) und Mystery („Engelspapst“) hat er sich in jüngster Zeit auch mit Krimis (Cyrus-Doyle-Reihe unter dem Pseudonym Jan Lucas) und Thrillern aus der deutschen Nachkriegszeit (Philipp-Gerber-Reihe unter dem Pseudonym Ralf Langroth) einen Namen gemacht. Jörg Kastner lebt mit seiner Frau, der Schriftstellerin Corinna Kastner, in der Rattenfängerstadt Hameln.

Mehr über Jörg Kastner:

www.kastners-welten.de

www.ralflangroth.de

www.facebook.com/Jan.Lucas.Autor

Carmen Vicari von CarmensBücherkabinett.de hat Jörg Kastner einige Fragen gestellt:

Carmen Vicari: Lieber Jörg,

vielen Dank für Deine Zeit, ein Interview mit mir zu machen. Wir kennen uns schon etwas länger und ich habe Dich damals als Autor von historischen (z.B. Germanen-Saga) und fantastischen (z.B. Das Runenschwert) Romanen kennengelernt. Mittlerweile hat es Dich mehr in die Krimi- und Thriller-Ecke verschlagen. Wie kam es dazu und bleibst Du jetzt in dieser Schiene?

Jörg Kastner: Mein aktuelles Projekt sind die Philipp-Gerber-Romane, Polit-Thriller aus der Nachkriegszeit unter dem Autorennamen Ralf Langroth, aber Krimis habe ich schon sehr früh geschrieben, unter anderem zwei Sherlock-Holmes-Romane und mehrere Sherlock-Holmes-Kurzgeschichten. Dann entwickelte sich meine Karriere tatsächlich in Richtung Historienroman und Fantastisches. Aber schon meine beiden in der Zeit Rembrandts spielenden Amsterdam-Romane „Die Farbe Blau“ und „Die Tulpe des Bösen“ waren historische Krimis.

In meinem Privatleben gab es einige Veränderungen, die mich dazu brachten, diese Dinge in meine schrifststellerische Arbeit einzubeziehen. Ich wollte also etwas mehr Gegenwärtiges schreiben und etwas, das mit mir zu tun hatte. Die Erleuchtung kam mir, als ich einen der wunderbaren Fischland-Krimis meiner Frau Corinna Kastner las. Spannende Geschichten in einer beschaulichen Atmosphäre, das sprach mich an. Schon vor Jahren hatte ich mit dem Gedanken gespielt, Krimis auf der von uns geliebten Kanalinsel Guernsey anzusiedeln. Den Plan setzte ich mit dem ersten Cyrus-Doyle-Roman „Cyrus Doyle und der herzlose Tod“ um, dem noch drei weitere folgen sollten. Darin kehrt Detective Chief Inspector Cyrus Doyle auf seine Heimatinsel Guernsey zurück, nachdem seine Mutter gestorben und sein Vater pflegebedürftig geworden ist – eine Situation, die meiner eigenen zu dem Zeitpunkt entsprach.

Derzeit fühle ich mich als Autor von Krimis und Thrillern sehr wohl, aber das Autorendasein führt immer wieder zu Überraschungen. Erst kürzlich rief mein Agent an, um mit mir über ein interessantes Projekt zu sprechen. Ob daraus etwas wird, weiß ich noch nicht. Falls ja, könnte es mich durchaus zweitausend Jahre in der Geschichte zurückkatapultieren.

Carmen Vicari: Wie kam es zu der Wahl der Pseudonyme?

Jörg Kastner: Das Pseudonym Jan Lucas für meine bisher vier Guernsey-Krimis habe ich aus zwei Gründen gewählt. Einmal, weil diese Romane etwas ganz anderes sind als die bisher unter dem Namen Jörg Kastner erschienenen Romane. Und dann auch, weil diese Bücher so viel Persönliches von mir beinhalten. Mit dem Pseudonym ist es mir beim Schreiben gelungen, die nötige Distanz zu den Figuren zu wahren.

Das Pseudonym Ralf Langroth für meine Thriller aus der Zeit der jungen Bundesrepublik habe ich mithilfe eines Pseudonymgenerators im Internet entworfen. Es sollte ein Name sein, der zu der Handlungszeit passt. Warum auch hier ein Pseudonym? Mein Agent hatte in dem Stoff ein großes Potential gesehen und wollte es breitflächig bei den Verlagen anbieten. Da ich seit vielen Jahren im Geschäft bin, wollte ich nicht, dass die Verlage gleich an meine früheren historischen und fantastischen Romane denken, wenn sie das Angebot sehen (siehe Deine vorherige Frage).

Carmen Vicari: Magst Du ein wenig zu Deinem neusten Thriller erzählen, der unter dem Pseudonym Ralf Langroth erschienen ist?

Jörg Kastner: Bislang sind drei Romane, alle basierend auf tatsächlichen Ereignissen, unter dem Namen Ralf Langroth erschienen, die es dankenswerterweise alle auf die SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft haben. Die Protagonisten sind der BKA-Hauptkommissar Philipp Gerber und die Journalistin Eva Herden. Während Philipp Gerber auf der Seite des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer von der CDU steht, ist Eva Herden stark links verortet und schreibt für ein kommunistisches Magazin. Das führt natürlich immer wieder zu Spannungen zwischen den beiden, auch wenn sie sich privat sehr zueinander hingezogen fühlen. Im ersten Band „Die Akte Adenauer“ geht um das Wiedererstarken der Rechten und darum, wie diese mit Terrorakten Einfluss auf die Bundestagswahlen im Jahr 1953 nehmen wollen. Der zweite Band „Ein Präsident verschwindet“ schildert, wie im Juli 1954 Otto John, der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, nachts von West-Berlin nach Ost-Berlin überwechselt und von dort aus Propaganda gegen die Adenauer-Regierung betreibt. Der dritte Roman „Das Mädchen und der General“ spielt im Jahr 1957 und befasst sich mit den politischen Hintergründen des Mordes an der sogenannten Lebedame Rosemarie Nitribitt, auch bekannt als „Das Mädchen Rosemarie“. Ich nehme in diesen Büchern immer historische Vorfälle als Ausgangspunkt und verpacke sie in eine spannende Handlung.

Carmen Vicari: Wird es weitere Bände der Krimi-Reihe Cyrus Doyle ermittelt geben?

Jörg Kastner: Derzeit ist es nicht geplant, ich hätte aber schon Lust dazu. Eine Filmfirma hatte die Option für eine Cyrus-Doyle-Fernsehreihe erworben und wollte auf Guernsey drehen. Corona hat das Projekt zerschossen. Sonst hätte es wohl noch weitere Doyle-Romane gegeben. Da mir die Figur nach wie vor nahesteht, würde ich aber gern damit fortfahren, sobald mich ein entsprechendes Angebot erreicht.

Carmen Vicari: Woher kommen die Ideen für Deine Bücher?

Jörg Kastner: Lesen, lesen, lesen. Viel Input sorgt für viel Output. Sehr oft ist es so, dass ich während der Recherche zu einem Buch schon auf interessante Fakten stoße, aus denen dann das nächste Buch entsteht.

Carmen Vicari: Wie sehen Deine Recherchearbeiten aus? Haben sich diese durch den Genrewechsel verändert?

Jörg Kastner: Grundsätzlich nicht. Wenn man die Zeit kennt, in der die Romane spielen, muss man nicht so schrecklich viel über das Alltagsleben recherchieren. Bei Philipp Gerber ist es schon etwas aufwendiger als bei Cyrus Doyle, aber ich bin in den sechziger Jahren aufgewachsen, und von denen sind die fünfziger Jahre, in denen die ersten drei Gerber-Romane spielen, nicht weit entfernt. Generell ist Lesen und noch einmal Lesen (ich erwähne es schon) ein wichtiger Teil der Recherche. Je mehr man über die Hintergründe einer Geschichte weiß, desto interessanter kann man sie gestalten. Die Kunst besteht dann im Weglassen, weil zu viele Fakten einen Roman überfrachten.

Carmen Vicari: Besuchst Du die Schauplätze, an denen Deine Bücher spielen?

Jörg Kastner: Das ist von Fall zu Fall verschieden. Bei meinen früheren historischen Romanen habe ich oft die entsprechenden Städte besucht wie Paris für „Im Schatten von Notre-Dame“ und Amsterdam für die beiden Romane mit Amtsinspektor Jeremias Katoen. Für meine in dieser Phase entstandenen Vatikan-Thriller „Engelspapst“, „Engelsfluch“ und „Engelsfürst“ war ich mehrmals in Rom und Umgebung, natürlich auch im Vatikan. Mein Agent ist in Rom aufgewachsen und lebt dort, was eine gute Ausgangsbasis für meine Recherche gewesen ist.

Die Guernsey-Krimis habe ich ja geschrieben, weil ich so oft dort war. Bei Philipp Gerber kam mir Corona dazwischen, so dass ich viel vom Schreibtisch aus recherchieren musste. Aber viele der Handlungsorte wie Bonn, Berlin oder Frankfurt am Main kenne ich zum Glück aus eigener Anschauung.

Carmen Vicari: Was hat dazu geführt, dass Du das Schreiben von Büchern zu Deinem Brotjob gemacht hast? Und hast Du es je bereut?

Jörg Kastner: Der Drang zum Schreiben steckte schon lange in mir und ist während meines Jurastudium immer stärker durchgebrochen. Ich habe in der Zeit Artikel zu populären Themen wie Film und Buch veröffentlicht und dann zwei entsprechende Sachbücher über das Raumschiff Orion und über Karl May. Als ich wegen des „Großen Karl May Buches“ bei Bastei-Lübbe war und erzählte, dass ich auch Sherlock-Holmes-Krimis (da haben wir sie wieder) schreibe, hat man mich gefragt, ob ich Lust hätte, an „Jerry Cotton“ mitzuschreiben. Hatte ich. Dabei habe ich gesehen, dass man mit dem Schreiben Geld verdienen und auch davon leben kann, und so bin ich nach dem zweiten Staatsexamen dabei geblieben.

Bereut habe ich es nie wirklich. Wie in jedem Beruf hat man auch in dem des Schriftstellers mal Ärger, und dann denke ich schon daran, wie es wäre, als Jurist in einer großen Versicherung um vier oder fünf Uhr den Kugelschreiber aus der Hand zu legen und beim Verlassen des Büros den Job für ein paar Stunden ganz hinter mir zu lassen. Aber hätte ich einen Nine-to-five-Job, würde ich vermutlich oft daran denken, wie es wäre, als freier Schrifststeller über meine Lebensgestaltung und meine Arbeit ganz allein zu entscheiden.

Carmen Vicari: Hast du Rituale beim Schreiben? Wie sieht ein ganz normaler Tag bei Dir aus?

Jörg Kastner: Morgens fahre ich den PC hoch, stellte mir einen Kaffee daneben, und dann geht es los. Entweder wird geschrieben oder recherchiert. Dazu höre ich oft die passende Musik. Bei den Philipp-Gerber-Krimis habe ich mir eine Playlist mit Film- und Tanzmusiken aus den fünfziger und sechziger Jahren erstellt. So ein Autorenalltag ist also weder aufregend noch glamourös, sondern schlichtweg Arbeit.

Carmen Vicari: Was ist bis jetzt der schönste Moment in Deiner bisherigen Zeit als Autor gewesen?

Jörg Kastner: Ich hatte das Manuskript zu meinem ersten Buch, „Das große Raumschiff-Orion-Fanbuch“, das 1991 bei Goldmann erschienen ist, abgegeben. Meine Lektorin hatte es, was ich nicht wusste, dem Autor der Raumschiff-Orion-Romane, Hanns Kneifel, zum Gegenlesen gegeben. Eines Abends klingelte mein Telefon, und Kneifel meldete sich mit den Worten „Junge, das hast du gut gemacht“. Und ich dachte: Wow, Gott spricht zu mir!

Carmen Vicari: Und zu guter Letzt: An was arbeitest Du gerade?

Jörg Kastner: Gerade heiße ich wieder Ralf Langroth und schreibe am vierten Band meiner Philipp-Gerber-Reihe, der, wie die anderen Gerber-Bände auch, bei Rowohlt erscheinen wird. Gern würde ich hier schon den Titel verraten, aber ich lasse es lieber, weil ich noch nicht feststellen konnte, dass der Verlag bereits den Titelschutz beantragt hat. Diesmal geht es um ein ganz großes Ereignis der deutschen Geschichte, und natürlich stecken Philipp Gerber und Eva Herden wieder mittendrin.

Carmen Vicari: Lieber Jörg, vielen Dank für Deine Zeit und das interessante Interview.